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ches. Entscheidend sei immer, wie der

Betroffene die Situation und seine ei–

genen Fähigkeiten einschätze, vor ol–

lem wie hoch er die Bedeutung dieser

Situation für seinen eigenen Selbst–

wert einstufe. Dies wiederum ist von

unterschiedlichen Faktoren abhängig.

Zunächst spielt natürlich die Familie

eine enorme Rolle. Welche Anforde–

rungen stellen die Eltern? Wie wichtig

nehmen sie die schulischen Leistungen

ihres Kindes? Sind sie selbst eher

Teufelskreis

ängstlich und übertragen somit ihre

Ängstlichkeit auf ihr Kind?

Weitere Einflussfaktoren liegen bei

der Schule. Hier wird am deutlichsten,

dass Leistungs- und Prüfungsangst in

den meisten Fällen mit sozialer Angst

gekoppelt ist. Denn schon kurz noch

der Einschulung erfahren Kinder, dass

der Leistung eine große Bedeutung

beigemessen wird: Gute Schüler wer-

den gelobt, ernten Anerkennung, nicht

nur bei den Lehrern, sondern auch bei

den Mitschülern. Leistungsschwächere

Schüler dagegen befürchten, sich zu

blamieren, von den anderen ausge–

lacht und gehänselt zu werden.

Natürlich spielt auch die Lehrerper–

sönlichkeit eine enorme Rolle. Welche

Lernatmosphäre und welcher Umgangs–

ton herrschen im Klassenzimmer? Wie

reagiert der Lehrer auf Fehler? Kriti–

siert er nur oder versteht er es auch,

die Schüler zu loben und dadurch zu

motivieren? Wie geht er mit Prüfungs–

situationen um? Gelingt es ihm bei-

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olctuell

spielsweise, vor einer Schulaufgabe

beruhigend auf die Kinder zu wirken?

Angesichts dieser Vielfalt an Ursa–

chen zeigt sich schon, dass der erste

Schritt, die Angst vor der Schule zu

überwinden, eine genaue Diagnostik

voraussetzt. Insbesondere gilt es zu

klären, ob der Schüler mit der ge–

wählten Ausbildung nicht überfordert

ist. Nehmen wir das Beispiel Andreas:

Er geht in die 7. Klasse Realschule und

hat die Probezeit nicht bestanden,

was seine Eltern ober nicht akzeptie–

ren wollen; ein Wechsel an die Haupt–

schule wäre für sie ein Makel, und

der Sohn hat diese Haltung schon ver–

innerlicht. Spürt jedoch ein Kind, dass

die Anerkennung der anderen und

seine Selbstachtung stark von den

Schulnoten abhängig sind, wächst der

Druck immer mehr, es wird zuneh–

mend nervöser

u.nd

schreibt erst recht

nur noch schlechte Noten . Damit be–

ginnt der 'Teufelskreis' der Angst, den

man in vielen Fällen mit einem Schul–

wechsel durchbrechen könnte.

Nun kann es aber auch sein, dass

der Schüler den Anforderungen durch–

aus gewachsen wäre, jedoch ange–

sichts eines erdrückenden Berges an

Prüfungsvorbereitungen den Mut ver–

liert, oll dies bewältigen zu können.

Entscheidend wäre hier die richtige

Lernstrategie. Steht eine Prüfung be–

vor, so sollte der Schüler sich zunächst

einmal überlegen, welche Lerninhalte

relevant sind, dann den Prüfungsstoff

gliedern und einen Zeitplan aufstellen,

was er wann lernen will. Ebenso wich–

tig ist es, die für sich richtige Lerntech–

nik herauszufinden. Hier sind natür–

lich auch die Lehrer gefordert, in ihren

Unterricht die Themen Lerntechnik und

-plonung einzubauen und mit den

Schülern zu erörtern.

Darüber hinaus muss der Schüler

die emotionale Seite, die Angstgefühle,

ober auch die körperlichen Symptome,

wie z.B. Kopfschmerzen, in den Griff

bekommen . Dafür wären Entspan–

nungstechniken wie autogenes Training

oder die bewusste Konzentration auf

den eigenen Atem sehr nützlich. Um

solche Techniken einzuüben, sollte

man sich nicht nur von medizinischer

Seite, sondern auch von Schulpsycho–

logen Ratschläge holen. Wiltrud Rich–

ter hat im Rahmen ihrer Berotertätig-

keit als Schulpsychologin beispielswei–

se ein Trainingsprogramm zur Bewälti–

gung von Angst vor Schulaufgaben

entwickelt, dessen Ziel es ist, sich kon–

tinuierlich an die Prüfungssituation

heranzutasten, ausgehend von der

Vorbereitungszeit über den Abend vor

der Schulaufgabe bis hin zum konkre–

ten Schulaufgabentermin. Dabei soll

sich der Schüler die jeweilige Situati–

on, die Gedanken und Gefühle, die

er damit verbindet, konkret vorstellen

und seine negativen Angstgedanken

überwinden, indem er positive Ge–

danken der Ruhe und Enbponnung

dagegensetzt. So lernen die Schüler,

dass sie ihren Gedanken nicht hilflos

ausgeliefert sind, sondern die Angst

in den Griff bekommen können.

Entscheidend ist vor ollem, dass

die Schüler ihre Ängste nicht einfach

verdrängen, sondern sich ihnen stel–

len . Bloßes Übertünchen der Angst

wäre es auch, einfach zur Tablette zu

greifen, um sich vor Prüfungen zu be–

ruhigen. „Prüfungs- oder Leistungsängs–

te kann ich mit Medikamenten nicht

beheben, so packt man das Übel

nicht an der Wurzel an", warnt Dr.

Wewetzer, leitender Oberarzt der Kli-

Gratwanderung

nik für Kinder- und Jugendpsychiatrie

der Universität Würzburg. Gegen

pflanzliche Beruhigungstees ist natür–

lich nichts einzuwenden, sinnvoller je–

doch gehen Eltern gegen Schlafstörun–

gen vor, wenn sie ihre Kinder an feste

Einschlafrituale gewöhnen, sie am

Vorabend einer Prüfung bewusst ab–

lenken und möglichst Gelassenheit

ausstrahlen. Sie sollten ihren Kindern

auch das Gefühl geben, dass sie ihre

Ängste äußern dürfen und sich dafür

nicht schämen müssen.

Falsch wäre es allerdings, daraus

nun den Schluss zu ziehen, man dürf–

te von Kindern oder Jugendlichen kei–

ne Leistung verlangen.

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Es gibt durch–

aus Möglichkeiten, Leistung zu for–

dern und trotzdem menschlich zu blei–

ben", betont Wiltrud Richter. Dass

dies manchmal eine Gratwanderung

ist und von Eltern wie Lehrern viel

pädagogisches Gespür und Einfüh–

lungsvermögen fordert, leuchtet ein,

ist ober auch die Mühe wert.

D