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Fotos:

Privat | © Jacek Chabraszewski (fotolia.de)

Was bedeuten diese Erkenntnisse für Unter-

richt und Schule?

Ich muss für positive Rahmenbedingungen

beim Lernen sorgen. Bevor wir also im Unterricht

über die Römer reden, könnten wir beispielsweise

zuerst eine Exkursion zu einem Römerkastell ma-

chen. Dann hat man ein paar ho entlich positive

Erlebnisse und stellt fest: „Hey, das ist ja interes-

sant!“ Fragen kommen dann von selbst – was ist

ein Kastell? In welchem Abstand wurden die an-

gelegt? Warum brauchten die Römer die Kastelle?

Und plötzlich ist da Erkenntnis! Wenn ich nur

lese: 753 kroch Rom aus dem Ei, dann geschah

das und dann das, und dann das. Dann vergesse

ich das Gelernte ganz schnell wieder. Starte ich

aber von einem motivierenden Erlebnis aus, kann

ich viel mehr lernen, mit viel mehr Interesse und

viel mehr Verständnis.

Hat ein solches Lernmodell nicht auch seine

Grenzen in der Aufnahmefähigkeit der Schüler?

Wir müssen uns endlich von diesem Kästchen-

Modell oder der Festplatten-Metapher verabschie-

den: Ist die Festplatte halb voll, passt nur noch

eine weitere Hälfte rein. Als hätte unser Gehirn

nur eine begrenzte Aufnahmekapazität. Das ist

dummes Zeug! Wenn einer beispielsweise an

Sprachen Gefallen gefunden hat und schon fünf

Sprachen drauf hat – dann lernt er die sechste

Sprache ja schneller! Für unser Hirn gilt: Je mehr

schon drin ist, umso mehr passt noch rein.

Manfred Spitzer

studierte Medizin, Psycholo-

gie und Philosophie. Er leitet die Psychiatrische

Universitätsklinik in Ulm und hat seit 1997

den Lehrstuhl für Psychiatrie der Universität

Ulm inne. Im Jahre 2004 gründete Spitzer das

TransferZentrum für Neurowissenschaften

und Lernen (ZNL), dessen Leiter er seitdem ist.

Einige glauben, Lernen könne nicht immer nur

Spaß machen. Schließlich sei Lernen auch mit

Arbeit und Mühe verbunden.

Menschen strengen sich nur an, wenn es

ihnen Spaß macht. Kein Mensch setzt sich zur

Selbstkasteiung hin und lernt. Das heißt aber

natürlich nicht, dass Lernen in jedem einzelnen

Moment Spaß machen muss. Es geht darum,

ein Ziel zu haben und durchzuhalten, bis ich es

erreiche. Hier kommt dann wieder der Spaß ins

Spiel. Habe ich nämlich mein Ziel erreicht, freue

ich mich und bin stolz. Das Ziel vor Augen und

die Vorfreude darauf helfen mir dabei, meine

Willenskraft auszubilden. So lernt man in ganz

kleinen Schritten: Ich habe mir etwas vorgenom-

men und kann es auch erreichen. Genau wie das

Laufenlernen: hinfallen, aufstehen, hinfallen, auf-

stehen ... Der einzelne Sturz macht keinen Spaß.

Aber der Vorgang des Lernens insgesamt schon!

Und vor allem lernt das Kind dann Durchhalten.

Wie kann man sich am besten die Freude am

Lernen bewahren?

Ganz einfach: Je mehr man in Kindheit und

Jugend schon gelernt hat, desto größer ist die

Wahrscheinlichkeit, dass man weiter lernen wird.

Und zwar weil es einem dann leichter fällt. Für

lebenslanges Lernen sorgt man in den ersten zwei

Lebensjahrzehnten. Wenn die Schule gut war,

dann kann jemand ein Leben lang lernen – weil

er Lust dazu hat und genug da ist, auf das man

Neues draufsatteln kann. Wenn aber mit 20

nichts da ist, fehlt die Basis zum Anknüpfen von

neuen Inhalten und das Lernen fällt dann sehr

schwer. Hinzu kommt, wenn ich mit 20 noch

nicht erfahren habe, dass ich durchhalten kann

und mich dieses Durchhalten weiterbringt, dann

werde ich nicht durchhalten. In diesem Alter

muss ich meinen Willen – eine Funktion des

Frontalhirns – ausgebildet haben, um Ziele zu

formulieren und sie auch zu erreichen.

(hg)

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1 | 2016

Schule & wir

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