Warum sollte Lernen aus Sicht der Gehirnfor-
schung Freude machen?
Es geht ja nicht darum, dass man einen Witz
erzählt, alle lachen und dann wird schneller gelernt.
Man muss verstehen, wie nahe beim Menschen
Freude und Lernen beieinander liegen. Wenn ich
etwas Begeisterndes erlebe, dann prägt sich das Er-
lebnis bei mir ein. Auch beim Lernen von Einzelhei-
ten und Zusammenhängen sind immer Emotionen
dabei: Hand auf die Herdplatte, Schmerz, Hand
weg – und dieses Ereignis wird im Gedächtnis haf-
ten bleiben. Emotionen, gute und schlechte, sorgen
dafür, dass aus dem Strom des Erlebens einzelne
Ereignisse herausgehoben und behalten werden.
Und die Art der Emotionen – positiv oder
negativ – spielt dabei keine Rolle?
Die Art der Emotionen wirkt sich massiv auf
das Lernen aus. Mit Angst lernt man sehr schnell.
Das Problem ist nur: Lerne ich mit Angst, dann
kommt beim Abrufen des Wissens immer auch die
Angst mit hervor. Und Angst hemmt Kreativität.
Kreativität brauchen wir aber, um unser Wissen
einzusetzen, etwa um Probleme zu lösen. Angst hat
deshalb im Unterricht nichts zu suchen.
Das bedeutet: Für nachhaltiges Lernen brau-
chen wir positive Emotionen?
Ganz klar. Im Kopf springt das Glückszentrum
immer dann an, wenn wir etwas Positives und
Neues erleben, was wir noch nicht wussten. Durch
seine Aktivierung kommt der Botensto Dopamin
an verschiedenen Stellen im Gehirn zum Ein-
satz. Dopamin sorgt unter anderem dafür, dass
körpereigene opiatähnliche Sto e, die Endorphine,
ausgeschüttet werden. So entsteht das gute Gefühl,
das man hat, wenn etwas Interessantes passiert.
Gleichzeitig beschleunigt Dopamin Lernprozesse
im Großhirn.
Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Dopamin wird im Gehirn ausgeschüttet, wenn
eine überraschende, positive Einzelheit passiert.
Deshalb können wir uns an Fakten aus der
Schulzeit auch meist dann erinnern, wenn sie in
einen besonderen Rahmen eingebunden waren.
Hat man beispielsweise die Kaiserkrönung Karls
des Großen szenisch nachgespielt, dann bleibt
das eher hängen, als wenn man sie einfach nur
gelesen hat. So wird ein produktiver Lernzirkel
angestoßen. Einzelheiten werden über positive
Emotionen im Gehirn verankert und erleichtern
das weitere Lernen. Deshalb werden weitere
Einzelheiten gelernt, die die Zusammenhänge
zwischen den Einzelheiten verständlich machen
und das Erlernen weiterer Einzelheiten erleichtern
usw. Das zunehmende Verstehen löst wiederum
positive Emotionen aus. Schließlich ist jede Er-
kenntnis selbst etwas Überraschendes. Das heißt,
jede positiv erlebte Erkenntnis macht künftiges
Lernen leichter. Glück und Lernen hängen im
Kopf eng zusammen.
INTERVIEW
Er ist einer der bekanntesten deutschen
Gehirnforscher und Lernexperten:
Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, Ärztlicher
Direktor der Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie III der Universität Ulm.
Schule & wir
hat ihn zum Gespräch
getroffen.
„Lernen und Glück
hängen ganz
eng zusammen“
Interview mit Manfred Spitzer
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Schule & wir
1 | 2016
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