Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 80

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
Das Phänomen des „dagegen seins“ ist oft bei Jugendlichen zu beobachten, deren Ziel von Engage-
ment und Protest die Polizei ist. Dies sind oft auch keine gesellschaftlich oder politisch Engagierten,
sondern Jugendliche, die in ihrem Alltag bzw. aufgrund ihres Lebensstils oder ihres Verhaltens in
Konflikt mit dem Gesetz und damit mit der Polizei geraten. Gehäuft ist dies auch auf Demonstratio-
nen zu beobachten, auf denen es zur Konfrontation mit der Polizei kommen kann.
„A: Also zum Teil sind die schon wirklich am 1. Mai dort aufgetreten und haben gesagt: Jetzt
wollen wir Polizisten klatschen. Das ist der Beweggrund. Sich irgendwie mit der Polizei zu prü-
geln. Das hat vielfach nicht mal einen politischen Hintergrund. Denn wir hatten bis vor ein paar
Jahren eine Entwicklung gehabt, dass es immer weniger deutsche Jugendliche waren, sondern
dass es wirklich mit einem Mal Jugendliche mit Migrationshintergrund waren. Wo wir uns den-
ken: Was haben die im linken Spektrum zu suchen? Die haben damit nichts am Hut. Die wollten
wirklich zum 1. Mai gehen und wollten ganz einfach mal richtig mit der Polizei Zoff machen.“
(Pädagogische Fachkraft)
Dieses Phänomen konnte bspw. auch Hoffmann-Holland (vgl. 2010) in der Studie „Analyse der Ge-
walt am 1. Mai 2009 in Berlin“ ausmachen (siehe dazu Kapitel 4.2.1.2). Es kann nicht automatisch von
einer politischen Motivation bei Demonstrationsteilnehmern ausgegangen werden. Vielmehr beweg-
te sich die Motivation zur Teilnahme zwischen politischem Protest, einer Protesthaltung gegen die
Präsenz der Polizei und Spaß am Event bzw. der Aktion.
5.2.3 Persönliche Entwicklungsmöglichkeiten und die Resonanz auf gesellschaftliches
bzw. politisches Engagement und Protest
Persönliche Entwicklungsmöglichkeiten durch Engagement und Protest.
Die befragten Jugendlichen
sprechen davon, selbstbewusster geworden zu sein, man lerne zu argumentieren und sich durchzu-
setzen. Außerdem lerne man zu organisieren. Man eigne sich inhaltlich viel an, z.B. durch empfohle-
ne Literatur, die gelesen und diskutiert wird oder durch Gespräche. Dadurch erweitere sich der eige-
ne Horizont. Der Zusammenhalt in einer Gruppe bzw. die Erkenntnis, dass man mit seinen Verände-
rungswünschen nicht alleine dasteht, lässt einige der Befragten optimistischer in ihre Zukunft blicken.
„A: Ich glaube, ich habe viel gelernt. Durch die ganzen Gespräche und Plena und auch die Lite-
ratur, die ich sonst wohl nicht in die Finger bekommen hätte. Ich hab‘ auch gelernt, mich durch-
zusetzen und zu argumentieren, Leute zu überzeugen, was mir heute bei meiner Arbeit natür-
lich super hilft. Und irgendwie bin ich auch optimistischer geworden, positiver eingestellt was
die Zukunft betrifft, weil ich erlebt hab‘, wie viele „Alternative“ es gibt, Menschen, die bereit
sind, sich zu engagieren, dass das alles hier anders wird. Auch wenn natürlich das Meiste gar
nicht klappt und sich nicht wirklich viel bewegt im Augenblick. Ich finde allein schon den Ver-
such toll und dass es so viele immer wieder versuchen. Das finde ich sehr ermutigend.“ (w)
Die Reaktionen aus dem sozialen Umfeld sind gemischt.
Freunde und Bekannte befürworten das
Engagement, vor allem dann, wenn sie selbst aktiv etwas tun. Ansonsten ernte man manchmal auch
Unverständnis, weshalb man so viel seiner freien Zeit dafür investiere.
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