Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 70

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
schlecht abschneiden würde, dass ich keinen Studienplatz bekomme, dann würde ich auch in
den Genuss bestimmter Leistungen kommen, und das ist natürlich von Vorteil. Aber dass mich
staatliche Politik in meinem Alltag so wahnsinnig berühren würde oder Dinge, die ich in der Ta-
gesschau sehe, das löst eher so ein Kopfschütteln aus bei mir. Aber natürlich hat es direkten
Einfluss auf mich und ich ärgere mich über vieles. Ich finde vieles furchtbar.
I: Kannst du Beispiele nennen, was du furchtbar findest?
A: Na ja, Verschärfung von Ausländerpolitik, Integrationsdebatten – grauenvoll. Diese Hass-
kampagnen gegen Muslime jagen mir oft richtig Schauer über den Rücken. Und dann diese
Vorstellungen von Frauenpolitik (…).“ (w)
Im folgenden Abschnitt wird das Verhältnis der Befragten gegenüber der Polizei als ausführendes
Organ von Staatsgewalt näher beleuchtet.
5.1.2.3 Das Verhältnis der Befragten gegenüber der Polizei als ausführendes Organ von
Staatsgewalt
Polizei wird oft als Bedrohung und als Gegner erlebt.
Betrachtet man das Verhältnis unter der Per-
spektive, dass Engagement und Protest ein Gegenüber brauchen, das für die wahrgenommenen
Missstände bzw. Ungerechtigkeiten verantwortlich gemacht werden kann, wird der Staat als abstrak-
ter Gegner in Form der Polizei „greifbarer“ und u.a. zum Ziel der Engagierten.
Gleichzeitig zeigen die Interviews, dass Befragte sich an negative Erfahrungen in der Begegnung oder
Konfrontation mit Polizisten erinnern. Einige Befragte erleben Ungerechtigkeiten, die durch die Poli-
zei verübt werden am eigenen Leib, bzw. nehmen dies aus der Beobachterperspektive wahr. Dies
erzeugt und verstärkt bei den Betroffenen ihre ablehnende Haltung. Auf Demonstrationen bspw.
werden Polizisten dann als Bedrohung erlebt. Befragte Jugendliche berichten von aggressivem Vor-
gehen den Demonstranten gegenüber, von willkürlichem Handeln und von Machtmissbrauch von
Seiten der Polizei.
Eine Jugendliche erinnert sich bspw. an eine Erfahrung mit Polizisten auf ihrer ersten Demonstration.
Dieses Erlebnis hat sie und ihr Verhältnis gegenüber der Polizei nachträglich geprägt. Auch hier beo-
bachtet und erlebt die Befragte Ungerechtigkeit, ausgeübt von einem Polizisten. Dieses Erleben löst
bei ihr intensive Gefühle der Wut und des Hasses aus, die in ihrer Reaktion münden, den betreffen-
den Polizisten anzuschreien und sich somit für die betroffene Passantin einzusetzen.
„A: Das war 2007 und ich glaube eher zufällig, wir haben eine Freundin gesucht, die auf der
Demo war und der es nicht ganz gut ging. An sich fand ich es ganz normal, dabei zu sein, nur
leider konnte ich nicht richtig laufen, da ich mein Bein gerade geprellt hatte beim Volleyball,
weil ich ganz blöd gelandet bin. Als ich sah, wie ein Polizist eine Passantin anschrie, sie solle
weggehen; diese Person sah alternativ aus und verstand offenbar kein Wort Deutsch, und das
versuchte sie dem Bullen auch mitzuteilen; jedoch konnte der, intelligent wie er war, kein Wort
Englisch. Daraufhin drehte er ihren Arm auf den Rücken und drückte sie zu Boden. Das machte
mich extrem wütend, weil er völlig willkürlich handelte, weshalb ich anfing ihn anzubrüllen. Da-
raufhin kamen Leute, die die Passantin befreiten, und ich ging weiter. Da ich so schlecht zu Fuß
war, stand ich dann eine Weile auf der Demo und wartete auf meine Freunde. Nur leider stand
ich äußerst ungünstig, was mir nicht aufgefallen war. Ich stand zwischen Polizei und Demonst-
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