Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 79

79
Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
keine Regierung, und jeder hätte das Gleiche, und deshalb würde ja auch keiner rausstechen
wollen, weil … Es ist irgendwie schlecht zu erklären, aber an sich ist es, denk’ ich, eine gute Idee.
Aber ich glaub’, die Leute brauchen erst mal so eine Art Dämpfer irgendwie, dass sie erst mal,
dass es ihnen ganz schlecht geht, bevor sie überhaupt kapieren, worum’s eigentlich geht so
richtig. Es gibt so viele Leute, die sich trotzdem immer nur um sich kümmern, egal, wie
schlecht’s anderen Leuten geht oder so. Oder egal, wie schlecht’s der Welt geht oder was weiß
ich was. Kümmern sich nur um sich, und deshalb, sag’ ich mal, funktioniert so was nicht.“ (w)
Man will dagegen sein.
Es gibt auch befragte Jugendliche, die engagieren sich um auf Missstände
aufmerksam zu machen ohne diese an Alternativideen für das Zusammenleben der Menschen zu
koppeln.
Eine pädagogische Fachkraft berichtet von einem Jugendlichen, den sie betreut hat und der im Rah-
men seines Engagements und Protests straffällig wurde. Dieser Jugendliche engagiert sich und pro-
testiert, hat aber kein tieferes Verständnis über Alternativen zu den bestehenden gesellschaftlichen
und politischen Verhältnissen.
„A:
Also ich hab’ einen jungen Mann betreut, der immer und immer wieder eben, fast täglich –
die Stadt ist ja so groß, man kann da jeden Tag zu einer Demonstration seiner Wahl gehen und
seinen Protest zum Ausdruck bringen –, und der war gegen alles, was eben so der Staat hier mit
sich bringt, und konnte sich an allen Sachen auch irgendwie reiben und hat dadurch immer
wieder Strafverfahren hinter sich hergezogen; also angefangen eben von Vermummungssa-
chen, dass er sich ständig eben seine Tücher da über die Ohren gezogen hat und immer wieder
aus diesen Blöcken eben rausgezogen wurde und …; aber dann auch in seiner Art – warum,
weiß ich nicht – eben auch dann zu anderen Mitteln gegriffen hat, sprich Steinwürfe und Fla-
schenwürfe es gegeben hat, und so Landfriedensbruch ist ja ein relativ schwerwiegendes Delikt,
wird auch relativ hart bestraft. (…) also der junge Mann, der war ja auf so vielfältigen De-
monstrationen, der hatte gar keine Zeit teilweise am Tage; also der hatte pro Tat fast eine. Also
wo ja auch so die Frage ist: Wenn ich mich nun so gesellschaftlich engagiere, ob ich nicht auf
eine Sache mich da … Oder bei jeder Sache, wo da gegen irgendwas aufgerufen wurde, also
nicht nur gegen den Staat, auch gegen einzelne … Ja, doch, häufig, glaub’ ich, gegen den Staat,
alles, was in der Richtung, gegen Sozialabbau und solche Sachen … Aber wenn man dann tiefer
über die Sache gesprochen hat, wusste man, dass er das gar nicht so in irgendeiner Art und
Weise wusste, worum das da in dieser Demonstration eigentlich ging.“ (Pädagogische Fach-
kraft)
Es gibt Jugendliche, die über ihr eigenes „dagegen sein“ reflektieren und die deshalb ihr eigenes En-
gagement auch kritisch sehen:
„A: Also ich war mal auf der Sicherheitskonferenz-Demo, die letzte da. Aber, also da war ich
jetzt nicht so als superüberzeugter …, ich hab' mir das eigentlich eher angeschaut. Also, ja, ge-
nerell … Ich weiß nicht, es ist halt immer … Also ich bin ja so ein bisschen Realist, würd’ ich mal
sagen, und auf der einen Seite bin ich zwar dagegen, aber der anderen Seite hab’ ich aber auch
keine bessere Lösung dafür. Deswegen will ich nicht von vornherein voll dagegen sein und dann
hinterher sagen, ja, keine Ahnung, was wir jetzt machen.“ (m)
1...,69,70,71,72,73,74,75,76,77,78 80,81,82,83,84,85,86,87,88,89,...126
Powered by FlippingBook