Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 87

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
„A: Ich geh‘ zum Fußball, also als Unterstützer, aber ansonsten habe ich mich noch an keine
Gruppe gebunden. Ich weiß zwar, die Mehrheit macht uns stark, aber ich kann einfach nicht je-
der Idee hinterherlaufen. Also Gruppenideen ist schwierig, eine komplizierte Sache. Ich kann
mich da nie so richtig anpassen, bekloppten Regeln folgen. Zum Beispiel, wenn ich sagen wür-
de, ich bin in der Antifa, und die lehnen es ab, mit einer bestimmten Gruppe von Menschen zu
reden, funktioniert das für mich nicht, man kommt einfach zu keinem Ergebnis, wenn man nicht
miteinander redet.“ (m)
Für Engagierte mit und ohne Gruppen- oder Szenezugehörigkeit haben Orte wie bspw. ein Jugend-
zentrum eine wichtige Bedeutung in der Konstruktion von Zugehörigkeit bzw. um sich (trotzdem) als
Teil der Szene oder als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen. Auch Hitzler und Niederbacher (vgl. 2010,
19) betonen die Relevanz von Treffpunkten. An Treffpunkten wird die Kultur der Szene sichtbar, und
sie sind wichtig für die Konstruktion von subjektiver Zugehörigkeit der Szenegänger. Die Treffpunkte
vor Ort sind den Szenegängern bekannt und sie sind darüber informiert, was dort passiert und wann
dort jemand anzutreffen ist.
Daneben wird das „Event“ (Hitzler/Niederbacher 2010, 21) als ein strukturell essentielles Element
von Szenen betont. Über ein Event lässt sich ein Wir-Gefühl herstellen, intensivieren und aktualisie-
ren (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010, 22).
Bezüglich gesellschaftlich bzw. politisch Engagierter im linken Spektrum können bspw. Demonstrati-
onen diese Funktionen übernehmen. Demonstrationen bieten Szenegängern die Möglichkeit des
geschlossenen Auftretens und des Publikmachens eigener Ziele und Ideen.
Trotz der individualistischen Prägung linker Szenen und der Szenegänger besteht dadurch die Mög-
lichkeit der Rückbindung des Einzelnen an die Gemeinschaft (siehe dazu auch für die Autonome Sze-
ne Kapitel 4.3.2.1). Schäfer/ Möller (2011, 169) beziehen sich auf Niekrenz und Junge (2011) und
sprechen in diesem Kontext von „spontanen und flüchtigen Vergemeinschaftungen“: „Entscheidend
ist, dass eine große emotionale Intensität mit dem Protest verbunden ist. Im Mittelpunkt steht die
Emotionsqualität, die mit der Vergemeinschaftung durch Protest hindurch verknüpft ist. Für eine
kurze Zeit bietet der Protest die Erfahrung einer intensiven Verbundenheit, denn es herrscht Einigkeit
im Ziel und im Feindbild“ (Niekrenz/Junge 2011, 13).
5.4 Rolle und Funktion eines theoretischen Bezugs für gesellschaftliches
bzw. politisches Engagement und Protest bei den befragten Jugendlichen
Ein Großteil der Befragten untermauert ihr gesellschaftliches bzw. politisches Engagement und Pro-
test mit einem theoretischen Bezug. Dabei fanden wir drei Muster:
1. Erklärendes Basiswissen ist wichtig für das Engagement, man folgt aber keinem deduktiven Plan.
Inwieweit eine Auseinandersetzung mit Theorie erfolgt, ist bei den Befragten unterschiedlich. Das
Interesse an theoretischem Hintergrundwissen ist da. Man hat sich schon mit unterschiedlichen the-
oretischen Bezügen beschäftigt, ist informiert, aber das eigene gesellschaftliche bzw. politische En-
gagement wird nicht unbedingt mit einem theoretischen Überbau begründet. Vielmehr scheint die
Wurzel des Engagements in der besonderen Sensibilität der Befragten zu liegen, Ungerechtigkeiten
wahrzunehmen, gekoppelt an das Misstrauen bzw. den Vertrauensverlust gegenüber Staat und Poli-
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