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Einsichten und Perspektiven 1 | 18
noch in der Mongolei fortsetzte, nachdem ihn die Rote
Armee 1920 über die Grenze gejagt hatte.
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Daneben gab es regional große Bauernrebellionen.
Diese als „Grüne“ bezeichneten Aufständischen kämpften
sowohl gegen die roten als auch gegen die weißen Trup-
pen. In den Steppen der südlichen Ukraine mit dem Zent-
rum in Ekaterinoslav, der heutigen Industriestadt Dnipro,
war es die Bauernarmee des Anarchisten Nestor Machno
(1889-1934), die während der Jahre von 1919 bis 1921 die
eigentliche Herrschaftsgewalt ausübte und mit ihrer Par-
tisanentaktik „Roten“, „Weißen“ und ukrainischen Ver-
bänden immer wieder heftig zusetzte. Mit den Mitteln des
Guerillakriegs stieg Machno, der sich als charismatischer
Bauernrevolutionär und Sozialreformer inszenierte, zum
erfolgreichen Gewaltunternehmer auf. Seine paramilitäri-
schen Einheiten versetzten die Bauern und Stadtbewohner
in Angst und Schrecken, weil sie diese mitunter genauso
wie die „Roten“ und „Weißen“ brutal misshandelten.
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Eine weitere „grüne“ Front bildete sich im zentralrus-
sischen Gouvernement Tambov, 350 km südöstlich von
Moskau. Unter der Führung des Sozialrevolutionärs Alek-
sandr Antonov verwandelte sich die Rebellion der dor-
tigen Bauern gegen die roten Beschaffungsbrigaden im
August 1920 in einen ausufernden Volksaufstand. Auch
hier verfolgte das sich bildende Bauernheer nur regional
begrenzte militärische Ziele. Das gab den Bolschewiki die
Möglichkeit, sich strategisch zurückzuziehen, um sodann
mit konzentrierten großen Armeeformationen die bäuerli-
chen Verbände nacheinander zu vernichten. Die Bolsche-
wiki scheuten sogar vor chemischer Kriegsführung nicht
zurück. Skrupellos ließen sie von Flugzeugen Giftgasbom-
ben abwerfen, die auf qualvolle Weise zahlreiche Frauen,
Alte und Kinder töteten.
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11 Jamie Bisher: White Terror. Cossack Warlords of the Trans-Siberian, New
York 2005; James Palmer: Der blutige weiße Baron. Die Geschichte eines
Adligen, der zum letzten Khan der Mongolei wurde, Frankfurt am Main
2010; Willard Sunderland: The Baron's Cloak. A History of the Russian
Empire in War and Revolution, Ithaca 2014.
12 Alexandre Skirda: Anarchy’s Cossack. The Struggle for Free Soviets in
Ukraine 1917-1921, Edinburgh 2004; Felix Schnell: Räume des Schre-
ckens. Gewalt und Gruppenmilitanz in der Ukraine, 1905–1933, Ham-
burg 2012, S. 287-365; Christopher Gilley: Makhno, Nestor Ivanovich,
in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War,
Berlin 2014-10-08., vgl.
https://encyclopedia.1914-1918-online.net/ar-ticle/makhno_nestor_ivanovich [Stand: 22.01.2018].
13 Delano DuGarm: Peasant Wars in Tambov Province, in: Vladimir N. Brov-
kin (Hg.): The Bolsheviks in Russian Society. The Revolution and the Civil
Wars, New Haven 1997, S. 177-200; Erik C. Landis: Bandits and Partisans.
The Antonov Movement in the Russian Civil War, Pittsburgh 2008; Martin
Krispin: „Für ein freies Russland …“. Die Bauernaufstände in den Gouver-
nements Tambov und Tjumen 1920–1922, Heidelberg 2010.
Zu den besonderen Schrecknissen des Russischen Bür-
gerkriegs gehörten die zahllosen Übergriffe auf jüdische
Familien, die erneut in den gnadenlosen Mahlstrom der
Gewaltgeschichte gerieten. Allein auf dem Gebiet Weiß-
russlands und der Ukraine kam es von 1918 bis 1921 zu
einer Vielzahl von Pogromen. 250.000 Juden fielen diesen
entsetzlichen Massakern zum Opfer, die vornehmlich von
den „Weißen“, aber auch von den „Roten“, „Grünen“ und
anderen Gruppierungen angerichtet wurden.
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Angesichts dieser unsäglichen Gewaltexzesse und der
sich verschärfenden Diskriminierung ehemaliger Ober-
14 Beyrau (wie Anm. 6), S. 190 f.; Henry M. Abramson: A Prayer for the Govern-
ment. Ukrainians and Jews in Revolutionary Times, 1917-1920, Cambridge/
Mass. 1999; Jonathan Frankel: Crisis, Revolution, and Russian Jews, Cam-
bridge 2009, S. 131-156; Oleg Budnitskii: Russian Jews Between the Reds
and the Whites, 1917-1920, Philadelphia 2012; Michael Beizer: Relief in
Time of Need. Russian Jewry and the Joint, 1914-24, Bloomington 2015. Zur
literarischen Verarbeitung dieser Pogrome durch den sowjetischen Schrift-
steller Isaak Babel (1894-1940) vgl. Gregory Freidin (Hg.): The Enigma of
Isaac Babel. Biography, History, Context, Stanford 2009.
Nestor I. Machno, um 1920
Foto: ullstein/Archiv Gerstenberg
Der Russische Revolutionszyklus, 1905-1932, Teil 4: Geschehnisse 1918-1932