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„Mein Job ist es Interessenkonflikte zu moderieren.“
Einsichten und Perspektiven 1 | 16
spräche mit Zeitzeugen zu führen, wie etwa Max Mannhei-
mer. Wann begann Ihre Auseinandersetzung mit dem Thema?
Lilienthal:
Direkt über meine Familie: Meine Familie
hat selbst Juden im Keller versteckt. Mein Großvater hat-
te im Ersten Weltkrieg einen Arm und ein Bein verloren
und war damit sozusagen als Kriegsveteran schlechter an-
greifbar. Er hat Juden bei uns versteckt, die bis zum Ende
unentdeckt blieben. Auf der Beerdigung meiner Mutter
war eine Frau, die damals von meinem Großvater gerettet
wurde und die unsere „Familienversion“ der Geschichte
noch einmal bestätigt hat.
LZ:
Hatten Sie schon Zeit, das Münchner NS-Dokumentati-
onszentrum zu besuchen?
Lilienthal:
Ja – es ist bereits jetzt eine nicht mehr wegzu-
denkende Institution.
LZ:
Hat sich Ihr Bild von München und Bayern verändert,
seit Sie hier leben?
Lilienthal:
Gerade wie sich München in der Flücht-
lingsfrage gezeigt hat, muss ich sagen: Hier zieht Berlin
absolut den Kürzeren. Die Konzentration auf dem Flug-
hafen Tempelhof halte ich für unklug und die „LAGeSo“-
Geschichte zum Beispiel ist wahnsinnig kompliziert. Das
gleicht letztendlich einem Flüchtlingslager im Libanon.
LZ:
Ist die DDR, oder vielmehr der Graben zwischen Ost und
West für Sie in Berlin noch spürbar?
Lilienthal:
Ja auf jeden Fall, jede Sozialisation wird durch
ihr Umfeld beeinflusst und erzeugt somit einen subjek-
tiven Blick auf die Realität. Es herrschen immer noch
verschiedene Mentalitäten. Das sieht man auch in der
Flüchtlingsfrage. Die DDR-Bürger sind beinahe ohne
Ausländer aufgewachsen. Ein alltägliches Zusammenleben
mit Migranten Tür an Tür war eine Ausnahme und ist es
bis heute. Daher rühren heute viele Probleme. Das mag in
anderen ländlichen Gegenden, auch in Bayern, aber auch
so sein.
LZ:
Fünf Stichworte, zu denen Sie bitte frei assoziieren:
Berliner Identität …
Lilienthal:
Klar hat mich Berlin geprägt. Die Berliner
Identität hat viel mit Ironie zu tun und mit dem Leben
in einer Stadt, in der viele Menschen alles verlieren und
trotzdem fröhlich weiterleben.
Frauenquote …
Lilienthal:
entwicklungsfähig.
Ihre liebsten Romanhelden?
Lilienthal:
Die habe ich in dem Sinne nicht, ich lese am
liebsten soziologische Literatur und ich kann bei
Submis-
sion
von Michel Houellebecq nicht sagen, dass ich mit der
Hauptfigur des Romans sympathisiere. Ich interessiere
mich eher für „asoziale Bastarde“.
Ihr Traumprojekt?
Lilienthal:
Ich realisiere alle meine Traumprojekte. Die
„Shabbyshabby Apartments“ waren demzufolge mein letz-
tes Traumprojekt.
Was macht Matthias Lilienthal in 20 Jahren?
Lilienthal:
Keine Ahnung. Vielleicht das Goethe-Institut
in Damaskus leiten …
Matthias Lilienthal
war von 1992 bis 1998 Chefdramaturg
an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz unter Frank
Castorf und initiierte u.a. das Engagement von Christoph
Marthaler und Christoph Schlingensief ans Haus.
Er war Programmdirektor für „Theater der Welt 2002“
in Bonn, Düsseldorf, Köln und Duisburg und entwickelte
für das Festival erstmals das Format „X Wohnungen“, das
seither dreimal in Berlin in unterschiedlichen Stadtteilen
stattgefunden hat und u.a. für Caracas, Istanbul, Sao Paulo,
Warschau und Johannesburg adaptiert wurde.
Von 2003 bis 2012 war er künstlerischer Leiter und
Geschäftsführer des HAU (Hebbel am Ufer) in Berlin. Das
Regiekollektiv Rimini Protokoll zeigte und erarbeitete kon-
tinuierlich Produktionen am HAU. Lilienthals Initiative, sich
mit den Besonderheiten des Bezirks Kreuzberg/Neukölln zu
beschäftigen, schlug sich in der Programmreihe
„Beyond
Belonging“
nieder, in der u.a. Nurkan Erpulat, Neco Çelik
und Tamer Yiğit inszenierten. Für Aufsehen sorgten auch
die beiden großen Abschlussprojekte „Unendlicher Spaß“,
eine 24-Stunden-Tour durch den utopischen Westen,
und „Die große Weltausstellung“, eine Bespielung des
Tempelhofer Feldes zusammen mit raumlaborberlin.
Ab September 2012 unterrichtete Lilienthal für zehn
Monate am Ashkal Alwan Beirut als Resident Professor
im Home Workspace Program. Er war Programmdirektor
von „Theater der Welt 2014“ in Mannheim.
Matthias Lilienthal ist seit der Spielzeit 2015/16 Inten-
dant der Münchner Kammerspiele.