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„Mein Job ist es Interessenkonflikte zu moderieren.“
Einsichten und Perspektiven 1 | 16
LZ:
Wie kamen Sie darauf, mit den „Shabbyshabby Apart-
ments“ den Diskurs nach außen zu tragen?
Lilienthal:
Dabei spielten mehrere Überlegungen eine
Rolle. Einerseits ging es darum, auf die Mietpreise in
München aufmerksam zu machen; gleichzeitig fungierte
es als ein partizipatives Projekt mit 120 Studenten, die
diese Appartements entworfen haben. Insgesamt vollzog
sich das Projekt dann auf drei verschiedenen Wahrneh-
mungsebenen: erstens die Leute, die in diesen Häusern
übernachtet haben – das war eine Performance direkt ne-
ben der Bühne, z.B. mitten auf der Maximilianstraße, in
einer Hütte voller Anziehklamotten. In dem Moment, in
dem man morgens im Pyjama auf das benachbarte Dixi-
Klo ging und sein Spiegelbild in dem Schaufenster von
Hermès sah, entstand ein – politisches – Bild. Die zweite
Ebene waren Führungen durch diese Appartements, und
eine dritte die Menschen, die im alltäglichen Straßenbild
plötzlich über die „Shabby-Häuser“ stolperten und darauf
reagierten. So haben wir mit dem Verlassen des Theater-
raumes viele Menschen erreicht. Letztlich war es ein klas-
sisches Projekt der politischen Bildung.
LZ:
Sie haben eben „Rimini-Protokoll“ angesprochen, ein
Stück über die Hitler-Schrift „Mein Kampf“. Was sagen Sie
zu der Hitler-Fixierung, die auch 70 Jahre nach seinem Tod
noch so deutlich spürbar ist?
Lilienthal:
Diese Fixierung ist nicht nur bei uns stark,
auch z.B. in den USA: Man brauchte dazu nur das Sen-
deprogramm von CNN vor der Veröffentlichung von
„Mein Kampf“ betrachten. Der Nationalsozialismus war
aus meiner Sicht schlichtweg die am meisten einschnei-
dende Periode der Zeitgeschichte. Sie beeinflusst uns na-
türlich bis heute stärker als jede andere deutsche Epoche.
Wenn ich der AfD und ihren rechtsnationalistischen An-
sichten zuhören muss, läuft es mir eiskalt den Rücken
herunter. Damit wird rechtsnationale Politik auf einmal
wieder hoffähig, was jahrzehntelang – zu Recht! – un-
möglich schien.
LZ:
Beobachten Sie unterschiedliche generationelle Heran-
gehensweisen an das Thema?
Lilienthal:
Die neue Generation stellt andere Fragen.
Aber zuerst muss eine Diskussion darüber geführt werden,
warum das Thema überhaupt noch für jugendliche Er-
wachsene interessant sein sollte. Die Auseinandersetzung
mit dem Nationalsozialismus ist nicht selbstverständlich,
schließlich hat die junge Generation andere Themen der
Aufarbeitung im eigenen Umfeld, z.B. diejenigen mit ei-
nem „68er-Elternhaus“. Wichtig ist, dass Jugendliche in
die Gedenkstätten gehen, denn die eigene Betrachtung
fördert den emotionalen Bezug.
Wir sehen auch, dass die Auseinandersetzung mit dem
Nationalsozialismus neue Genres und trivialisierte Formen
entwickelt wie Agenten- oder Westernfilme, siehe
„Inglou-
rious Basterds“
von Quentin Tarantino. Die Nazizeit ist also
auch – in bestimmten Ausformungen – zur großen Folk-
lore der Bundesrepublik Deutschland geworden.
LZ:
In den achtziger/neunziger Jahren begannen Pädagogen
verstärkt, mit Klassen in Gedenkstätten zu gehen und Ge-
Shabbyshabby Apartment „Zur feinsten Seide“ in der Münchner Maximilian-
straße
Foto: Matthias Kestel
Szenenfoto aus „Adolf Hitler: Mein Kampf 1&2“ von Rimini Protokoll
Foto: Candy Welz