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Der „Emigrantenstein“ von 1796: steinernes Zeugnis europäischer Geschichte

Einsichten und Perspektiven 1 | 16

Die im Jahr 2000 publizierte Studie von Thomas Höpel,

„Emigranten der Französischen Revolution in Preußen

1789–1806“, die einen wesentlichen Beitrag zur Erfor-

schung der Emigration in Deutschland darstellt, verdeut-

licht den zeithistorischen Hintergrund des Steins. 

3

Dort

wird aufgezeigt, dass die heutige Problematik im politisch-

administrativen und sozio-kulturellen Umgang auch in der

Vergangenheit nicht unbekannt war. Auch an der Wende

vom 18. zum 19. Jahrhundert waren Staaten mit einer gro-

ßen Zahl von Flüchtlingen konfrontiert, wie das Beispiel

zeigt. Höpel dokumentiert, dass bereits seinerzeit ein Span-

nungsverhältnis zwischen restriktiven und liberalen Rege-

lungen bestanden habe, und arbeitet die regionalen Unter-

schiede in der Wahrnehmung von Emigranten durch die

einheimische Bevölkerung sowie die Probleme der gesell-

schaftlichen Integration bzw. auch den Einfluss der Emi-

gration auf den Kultur- und Technologietransfer heraus.

Die Inschrift des „Emigrantensteins“ attestiert dem preu-

ßischen König Friedrich Wilhelm II. und seinem Minister

Hardenberg beispielhafte „Menschenliebe, Wohlthätigkeit

und Edelmuth“ gegenüber den französischen Emigranten.

Der Autor weist an Hand der Primärquellen nach, dass

diese Dankbarkeit einen realen Hintergrund hatte. Auf

der Grundlage des königlich-preußischen Reskripts von

1792 verfolgte Hardenberg in seinem fränkischen Zustän-

digkeitsbereich eine besonders emigrantenfreundliche

Politik. Französischen Emigranten sollte Gastfreundschaft

und Schutz gewährt werden. Hardenberg richtete einen

Unterstützungsfonds zur Gewährung finanzieller Beihil-

fen in Notlagen ein und sorgte dafür, dass leerstehende

Gebäude, darunter auch Schlösser, zur Unterbringung der

Flüchtlinge genutzt werden konnten. Um eine gleichmä-

ßige Belastung von Städten und Gemeinden mit den fran-

zösischen Emigranten zu erreichen, ordnete er periodisch

zu erstellende Emigrantenlisten an. Trotz zunehmender

Beschwerden aus dem Kreise der Einheimischen ließ sich

Hardenberg in seiner fremdenfreundlichen Politik nicht

beirren. Dies ist insofern bemerkenswert, als die Emigran-

ten in der Mehrzahl der Fürstentümer des Reiches abge-

wiesen wurden. Lediglich für Erlangen erteilte Harden-

berg ab 1794 keine weiteren Aufenthaltsgenehmigungen,

weil sich die dortige Bürgerschaft über die Verteuerung

von Lebensmitteln und Mieten beklagt hatte. Eingehende

Beschwerden über die Gefährdung der guten Sitten wies

Hardenberg dabei zurück.

3 Thomas Höpel: Emigranten der Französischen Revolution in Preussen

1789–1806, Deutsch-Französische Kulturbibliothek Bd. 17, Leipzig 2000.

Schwierig zu ermitteln ist, wie viele französische Emig-

ranten „in diesen glücklichen Landen eine Freystätte“ fan-

den. Die Dunkelziffer der Emigranten ohne Aufenthalts-

genehmigung dürfte hoch gewesen sein. Die statistische

Erfassung der Emigranten in den beiden Fürstentümern

Ansbach und Bayreuth stützt sich, wie Höpel ausführt,

vor allem auf Emigrantenlisten, die im Geheimen Staats-

archiv Preußischer Kulturbesitz heute teilweise noch vor-

handen sind und lediglich für Ansbach und Kulmbach aus

bayerischen Archiven ergänzt werden können. Auf Grund

dieser unvollständigen Aktenlage ermittelt der Autor etwa

eintausend französische Emigranten im Bereich Ansbach-

Bayreuth, deren größte Gruppe Adelige und deren Die-

nerschaft ausmachten.

Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zur Situation

der Emigranten im geistlichen Territorium von Bam-

berg. Matthias Winkler weist 2010 in einer Arbeit über

die „Emigranten der französischen Revolution in Hoch-

stift und Diözese Bamberg“ nach, dass von den über 260

französischen Emigranten, deren Aufenthalt in Bamberg

aktenmäßig zu belegen ist, nur 27 adeliger Herkunft

waren. 

4

Es überrascht nicht, dass in einem geistlichen

Fürstentum, wie dem Hochstift Bamberg, der aus Frank-

reich emigrierte Klerus mit 164 Geistlichen besonders

stark vertreten war.

Der „Emigrantenstein“: Identität des Urhebers und

Autors

Das Rätsel der Identität des „französischen Auswande-

rers“, der durch den „Emigrantenstein“ in dieser einzigar-

tigen, zwei Jahrhunderte überdauernden Weise den Dank

für das ihm und seinen Landsleuten gewährte Asyl „ver-

ewigt“ hat, ist noch nicht endgültig gelöst.

Der Wortlaut der Inschrift selbst gibt Anhaltspunkte für

die Recherche. Der Autor zeigt durch die noble Formulie-

rung seines Dankes, dass er die deutsche Sprache perfekt

beherrschte und dem deutschen Kulturkreis eng verbun-

den war. Als Autor wäre vielleicht sogar an den französi-

schen Emigranten Adelbert von Chamisso (1781–1838)

zu denken, der als Dichter und Naturforscher in Deutsch-

land großes Ansehen erlangte. Seine Biographie zeigt, dass

es Emigranten gelungen ist, die Chance des Kulturtrans-

fers zwischen Frankreich und Deutschland zu nutzen. Auf

einem Schloss in der Champagne als „Adélaide de Cha-

misso“ geboren, flüchtete Chamisso mit seinen Eltern über

4 Matthias Winkler: Die Emigranten der Französischen Revolution in Hoch-

stift und Diözese Bamberg, Bamberger Historische Studien Band 5, Bam-

berg 2010.