aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 38

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aviso 1 | 2014
DER ZAHN DER ZEIT
WERKSTATT
Berufsverbot für
[Dr.] Annette Schavan?
Text:
Volker Rieble
Annette Schavan, die,
gegen den Promotionsentzug,
den Doktor-»Titel« noch führen darf, weil sie Klage vor
dem Verwaltungsgericht erhoben hat, diese Annette Scha-
van wurde in den Hochschulrat der Ludwig-Maximi-
lians-Universität berufen. Schon schäumt es. Kritiker
melden sich zuhauf. Der Vorsitzende des Deutschen Hoch-
schulverbandes hält Frau Schavan für eine überführte
Plagiatorin, der die erforderliche akademische Integrität für
dieses Amt fehle. Mit dieser Berufung falle die LMU der Uni-
versität Düsseldorf hinsichtlich des Promotionsentzugsver-
fahrens »in den Rücken«. Andere finden die Berufung stil-
los, stören sich an einer (bayerischen) Amigo-Kultur und
befürchten, dass die LMU keinen Studentenmehr wegen seiner
Abschreibereien gegenübertreten könne. Gerade Mitglieder der
LMU machen ihrem Unmut Luft; das betrifft insbesondere
Professoren der Geisteswissenschaften. Eine Fachschaft äußert
sich skurril und außerhalb ihres Mitbestimmungsauftrages –
obwohl die Studentenvertreter imHochschulrat zugestimmt
haben. Germanisten fordern in einer von 25 Professoren und
anderen unterschriebenen »Erklärung«, dass Annette Schavans
Hochschulratsamt zu suspendieren sei – imDienst der »Glaub-
würdigkeit der Universität und ihrer Forschungsethik«.
Vorab: der rechtliche Rahmen
Ich gebe zu: Auch mich bewegten finstere Gedanken. Wie
kommt »meine« Universität zu einer solch instinkt- und
stillosen Entscheidung? Doch die dem Wissenschaftler
antrainierte Rationalität hilft gegenüber dem Vor-Urteil:
Weshalb eigentlich soll der (berechtigte) Promotionsentzug
eine wissenschaftliche Tätigkeitssperre für den Delinquen-
ten auslösen? Für Frau Schavan: ein Beinahe-Berufsverbot,
weil sie anderes als Wissenschaftspolitik womöglich nicht
kann, nicht gelernt hat.
Richtig ist, dass
Frau Schavan nach bestandskräftigem
Promotionsentzug als Abiturientin ohne Studienabschluss
dasteht (was die Frage aufwirft, wer ihr damals zum Promoti-
onsabschluss geraten hat). Mithin ist sie für solche Positionen
ungeeignet, die einen Studienabschluss oder eine Promotion
formal voraussetzen. Man kann fragen, ob ihre Berliner Ho-
norarprofessur bleiben kann. Solch akademische Grundlage
verlangen die zehn »akademischen Sitze« im Hochschulrat
bayerischer Universitäten. Indes: Die anderen zehn Sitze sind
nach Art. 26 Bayerisches Hochschulgesetz für »Persönlich-
keiten aus Wissenschaft und Kultur und insbesondere aus
Wirtschaft und beruflicher Praxis« vorgesehen. Hier kommt
es weder auf die Dissertation noch auf sonstige formale Be-
rufsqualifikation an – sondern allein darauf, ob die Person für
die Hochschule eine sachverständige Perspektive mitbringt,
wie für den Aufsichtsrat eines Unternehmens. Und diese Per-
spektive soll ja gerade eine außeruniversitäre sein. Unter den
nicht hochschulangehörigen Mitgliedern im LMU-Rat fin-
den sich eine gar-nicht-Promovierte und zwei Ehrenpromo-
vierte. Dürfte dort ein erfolgreicher Studienabbrecher sitzen
oder jemand, der »nur« und spät den zweiten Bildungsweg
gemeistert hat? Aber selbstverständlich, solange er nur der
Hochschule eine spezielle Expertise bietet (wie die Gewerk-
schafterin Edeltraud Glänzer im Oldenburger Hochschul-
rat). Wer will bestreiten, dass Annette Schavan etwas von
Hochschulen, Wissenschaftspolitik, Wissenschaftsfinanzie-
rung etc. versteht? Auch kann sie eine dezidiert kirchliche
Bildungsperspektive vertreten. Darf die LMU der Auffas-
sung sein, Frau Schavan könne ihr »nützlich sein«? Und
was vermöchte ein Promotionsentzug an den Kenntnissen,
Erfahrungen und Fähigkeiten von Frau Schavan zu ändern?
Von »Lebensleistung« muss man gar nicht sprechen. Die
ist bei anderen Ratsmitgliedern auch keine Voraussetzung.
Im Gegenteil wäre es misslich, wenn dort nur solche säßen,
deren Leben schon geleistet ist.
Halten wir fest: Frau Schavan hat durch das Dissertations-
plagiat keine Straftat begangen; und selbst wenn Dissertati-
onsabschreibereien strafbar wären, wäre jedes maßregelnde
Berufsverbot (vgl § 70 StGB) unverhältnismäßig. Welche
künftige Gefahr geht heute oder ging je von Frau Schavan
aus? Überaus erstaunlich: Vergleichbare Schärfe gegenüber
einem Studenten, der bei seiner Abschlussarbeit (Bachelor,
Master, Diplom) mogelte, und dem zusätzlich zum Entzug
des Hochschulabschlusses ein öffentlicher Einstellungsboy-
kott entgegenschlüge, würde die Öffentlichkeit als unverhält-
nismäßig verwerfen.
Das Argument, die
LMU fiele der Universität Düsseldorf
in den Rücken, ist intellektuell dürftig: Die Heinrich-Heine-
Universität entschied autonom über den Promotionswiderruf;
nun bewerten dies ebenso autonom die Verwaltungsgerichte.
Die Berufung in den Hochschulrat sagt über jenen Promoti-
onsentzug gar nichts. Weder hat die LMU jene Doktorarbeit
bewertet noch die Entscheidung aus Düsseldorf. Vielmehr hat
die LMU eine Bewertung von »Person und Leistung« vorge-
nommen, zu der umgekehrt die Heinrich-Heine-Universität
nicht ansatzweise berufen ist. Wenn ein Unternehmen Frau
Schavan in seinen Aufsichtsrat beriefe, wäre dies ebensowenig
Affront gegen die Universität Düsseldorf. Umgekehrt: Wer
der LMU das Recht bestreitet, über die Besetzung des eige-
nen Hochschulrates autonom zu entscheiden – der greift in
deren Hochschulautonomie ein.
Vollends absurd ist die Forderung an die Hochschulleitung, das
Amt von Frau Schavan zu suspendieren: Auch als Germanist
sollte man nur dasjenige fordern, was rechtlich zulässig ist,
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