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aviso 1 | 2014
DER ZAHN DER ZEIT
RESULTATE
Fünftens: die Paradoxien.
Hier um der Kürze willen
nur ein Beispiel: »Das Lieben ist ja das einzige oder Beste,
was der Mensch sich nicht einbildet.« Allein darauf könnte
man eine Rede gründen. »Antithesen und Gleichnisse sind
nun in meinem Gehirn eingewurzelt, dass sie selbst meinen
Träumen anhängen«, schrieb er. Und: »Ob ich gleich nicht
weiß, wer unter allen Autoren der Erde die meisten Gleich-
nisse gemacht, so freuet es mich doch, dass ihn niemand
übertrifft als ich.«
II.
Jean Paul, der sozial benachteiligte Hochbegabte, konnte
Leben in Sprache verwandeln: übermütig, verschwenderisch
an Geist und Gefühl, ohne Dünkel, sogar in der Anmaßung
liebenswürdig. Kein Wunder, dass er begabte, sozial benach-
teiligte Leser besonders anzog. Also Leserinnen. Hier sind
wir bei Jean Paul als Figur, die ebenfalls überall schon war,
wo ich – in diesem Fall als Autorin – hingeriet; und weil ich
den Preis auf meinen Roman »Dichterliebe« hin bekommen
habe, möchte ich bei dem Thema etwas verweilen. Jean Paul
also verzauberte in den Jahren seines Ruhms die Damen der
oberen Stände (andere konnten sich seine Bücher nicht leis-
ten). Sie schrieben Verehrerinnenbriefe und baten um Sou-
venirs – die Nachfrage nach Haarlocken bediente er zeitweise
aus dem Fell seines Hundes. Manche Frauen luden ihn in
ihre Palais ein, erlangten seine Freundschaft und machten
sich Hoffnungen. Vergeblich: Der Dichter fürchtete »Hand
und Halfter« und rettete sich, wenn die Damen feurig wur-
den, in sittliche Ermahnungen. Einen Harem an Edelfrauen
regulierte er brieflich auf diese Weise; ohne dass es übrigens,
wie es aussieht, zum Äußersten gekommen wäre. Er nannte
das Simultan- oder Tuttiliebe und erlebte prickelnde Miss-
verständnisse, die für seine Bücher fruchtbar wurden. Für
manche Frau waren sie fatal.
Aus Weimar zum Beispiel schrieb ihm Charlotte von Kalb,
eine freisinnige, selbstbewusste Adlige, immer leidenschaft-
lichere Briefe. Auf die Sittlichkeitsnummer fiel sie nicht
herein. »Ach, ich bitte, verschonen Sie die armen Dinger
[gemeint sind Frauen, Mädchen] und ängstigen Sie ihr
Herz und ihr Gewissen nicht noch mehr! Die Natur ist schon
genug gesteinigt. … Liebe bedürfte keines Gesetzes. Die Natur
will, dass wir Mütter werden sollen; – vielleicht nur, damit
wir, wie einige meinen, Euer Geschlecht fortpflanzen! Dazu
dürfen wir nicht warten, bis ein Seraph kommt – sonst ginge
die Welt unter. Und was sind unsere stillen, armen, gottes-
fürchtigen Ehen? – Ich sage mit Goethe und mehr als Goethe:
unter Millionen ist nicht einer, der nicht in der Umarmung
die Braut bestiehlt.«
Diese Charlotte von
Kalb, zwei Jahre älter als Jean
Paul, lebte von ihrem ungeliebten Mann getrennt; damals
kein seltenes Schicksal der Frauen von Stand. Sie wurden
»vernünftig« verheiratet und gebaren Nachkommen; dann
führten die Männer anderswo ein Männerleben mit allem
Drum und Dran, und die Frauen saßen in ihren möblierten
Wohnungen auf demTrockenen und lasen Jean Paul. Einsam-
keit, Unerlöstheit und Ohnmacht, die sinnlose Brache einer
hohen Begabung – ich lese diese Briefe als Tragödie, und zwar
keineswegs, weil die Frau den Dichter nicht bekam, sondern
weil sie gezwungen war, ihr intellektuelles und erotisches
Glück auf ihn zu setzen. Der Standesunterschied scherte sie
nicht, sie wollte sich sogar scheiden lassen für Jean Paul. Der,
immerhin beeindruckt von der »Größe, Glut und Beredsam-
keit« dieser »hohen, heißen Seele«, warnte vor unbedachten
Schritten: »Sei still, liebe Seele: Werde ruhig und hoffend!«
Sie antwortete: »Liebe mich … ich fürchte das Unglück und
die Öde und die Trauer meines Lebens.«
Er liebte sie nicht, sondern ging, nachdem er sie für seine
»Titan«-Figur Linda erschöpfend studiert hatte, munter sei-
nes Wegs. Sie lebte weitere vierzig Jahre in Unglück und Öde
und Trauer, zuletzt verarmt und erblindet. Die Sache brachte,
in Anlehnung an ein Wort von Peter Hacks, Jean Paul wei-
ter und machte die Kalb fertig. Jahre später, als sein Ruhm
verblasst war und die eigene Erblindung nahte, versuchte
er eine andere Verehrerin von Illusionen abzubringen: »Sie
denken viel zu gut von mir als Menschen; kein Schriftsteller
kann so moralisch sein wie seine Werke, so wie kein Prediger
so fromm wie seine Predigten.«
Seine Moral war
dennoch stark. Dass Frauen zumin-
dest hierzulande nicht mehr gezwungen sind, ihre Talente
Männern zu opfern oder durch Männer zu verwirklichen,
interpretiere ich ohne weiteres auch als Erbteil Jean Pauls; so
gesehen verdanke ich auch ihm, dass ich hier stehe. Erotisch
strebte er nach Augenblickswirkung – das liegt in der Natur
der Sache. Als Künstler saugte er seine Umwelt aus, gelegent-
lich unter Tränen des Mitleids – Künstler sind so. Künstle-
rinnen übrigens auch. Als Bürger aber dachte und handelte
er erstaunlich sozial. Da ihn Hierarchien kaum scherten, war
er meinungsstark und mutig wie wenige Literaten nicht nur
seiner Zeit. Er kritisierte Selbstherrlichkeit und Verschwen-
dungssucht der Fürsten, geißelte die Zensur, predigte die
Geistesfreiheit, war unempfänglich für Chauvinismus und
schrieb eine »Kriegserklärung gegen den Krieg«. Innerlich
unabhängig, im Überschwang hellsichtig, bei aller Kauzig-
keit intellektuell stolz: Wenn Literatur unser soziales Leben
zu verbessern vermag oder jemals vermochte, verdanken wir
das Dichtern wie ihm, die ethischen Impulsen folgten, anstatt
sich selbst zu dienen.
III.
Fünf Lese-Wege zu Jean Paul und zwei biografische – jetzt
muss ich noch etwas zur musikalischen Idee dieses Abends
sagen, die ebenfalls mit liebenden Dichtern zu tun hat, durch
einen wunderbaren Zufall, aber auch mit einem ethischen
Impuls aus meiner Wirklichkeit. Gesungen werden drei
Gedichte von Heinrich Heine in der Vertonung durch
Robert Schumann. Alle diese Gedichte leben vom Paradox
solcher Liebe, von Leidenschaft und Ironie, von Sprache, die
die erotische Liebe zugleich befeuert, ausbeutet und zu über-
winden scheint. Der Titel des Zyklus stammt nicht von Heine,
sondern vomKomponisten Robert Schumann, der in der Be-
1...,38,39,40,41,42,43,44,45,46,47 49,50,51,52
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