aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 30

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aviso 1 | 2014
Der Zahn der Zeit
Colloquium
»Bedenck das End,
Zeit laufft behend.«
Uhren im Bayerischen Nationalmuseum
Text:
Raphael Beuing
Uhren faszinieren seit
jeher: Sie führen den
unaufhaltsamen Ablauf der Zeit und die Vergänglichkeit
allen menschlichen Daseins eindrücklich vor Augen. Dies gilt
für mechanische Räderuhren ebenso wie für sogenannte Ele-
mentaruhren, also zum Beispiel Sonnen-, Sand- oder Was-
seruhren. Was das Weiterrücken des Zeigers oder das Rinnen
von Sand hinter ihrer primären Funktionsebene andeuten,
wird oftmals durch bildliche Darstellungen und mahnende
Inschriften tiefsinnig unterstrichen. Die Regelmäßigkeit und
Zuverlässigkeit, die den Räderwerken von Uhren innewohnt,
mögen in Zeiten der inneren oder äußeren Unruhe eine Sehn-
sucht nach Ruhe und Ordnung symbolisieren. Die Mecha-
nismen von Räderuhren waren vor allem im späten Mittel­
alter und in der frühen Neuzeit Werke der Spitzentechnologie
und daher Prestigeobjekte, die an keinem Fürstenhof und
in keinem vornehmen Haushalt fehlen durften. Von diesen
Facetten erzählt die Uhrensammlung des Bayerischen Natio­
nalmuseums in München, die als eine der bedeutendsten in
Deutschland gilt. Es ist zwar gegenwärtig kein ganzer Muse-
umssaal der Zeitmessung gewidmet, aber in verschiedenen
Sälen finden sich bedeutende Werke aus fünf Jahrhunderten,
von denen hier einige charakteristische Stücke vorgestellt
werden.
Räderuhren im späten Mittelalter
Die um 1300 aufkommenden Räderuhren hatten in ihrer
Frühzeit kein handliches Format, das für den häuslichen
Gebrauch geeignet war, sondern es handelte sich um Monu-
mentaluhren an öffentlichen Orten, wo sie die Ordnung und
den Tagesablauf einer größeren Gemeinschaft zu sichern hal-
fen, zumBeispiel an städtischen Uhrtürmen oder in Klöstern.
Naturgemäß sind solche Werke eher selten inMuseen gelangt,
doch eines der ältesten Stücke der Uhrensammlung und
eines der eindrucksvollsten Objekte des Museums überhaupt
stammt von einer solchen Großuhr. Es handelt sich um ein
hölzernes Skelett, das auf einem Löwen reitet und Teil einer
Uhr aus dem Münster in Heilsbronn in Mittelfranken war.
Die 1513 geschaffene Figur stand ehemals auf einem Kas-
ten, der das Uhrwerk beherbergte. Durch einen Mechanis-
mus hob der Knochenmann zur vollen Stunde den rechten
Arm und schlug mit einem Knochen auf eine Glocke, die im
Kopf des Löwen verborgen war. Gleichzeitig öffnete sich der
Unterkiefer des Skeletts, und der Löwe bewegte seine Zunge.
Die Uhr gewährleistete den organisierten Tagesrhythmus der
Zisterziensermönche in Heilsbronn, aber zugleich mahnt das
Skelett schonungslos, die Zeit sinnvoll zu nützen.
Das 16. Jahrhundert: Vielfalt und Kuriositäten
Die rasante Entwicklung der Uhrenherstellung führte im
späten 15. und im 16. Jahrhundert zu kleineren und schließ-
lich auch tragbaren Zeitmessern, die freilich nur für wenige
vermögende Personen erschwinglich waren. Der praktische
Nutzen der ohnehin nicht sehr genauen Uhren stand dabei
eher im Hintergrund, kam es doch in gleicher Weise auf
einen reichen Dekor oder auf kuriose Formen an. Ein sol-
ches Objekt ist ein Streitkolben von etwa 1580, dessen Kopf
als Uhrgehäuse dient und der auf einer Seite ein Zifferblatt
trägt. Als wirksame Waffe wird der Streitkolben aufgrund
der zierlichen Schlagblätter kaum gedient haben, vielmehr
war er wie ein Zepter ein Würdezeichen, das die Uhr zu ei-
nem Luxusobjekt und Statussymbol sondergleichen erhob.
Weit verbreitet waren
ab dem 16. Jahrhundert
sodann Tischuhren von verschiedener Gestalt. Darunter sei
die Tischuhr des Pfalzgrafen und späteren Kurfürsten Ott­
heinrich genannt, ausgestellt im Zweigmuseum »Kunst- und
Wunderkammer auf Burg Trausnitz« in Landshut. Otthein­
rich war ein großer Liebhaber von Uhren und astronomi-
schen Instrumenten. Das Zifferblatt hat zwei Stundenzeiger
und daher zwei verschiedene Stundenzählungen: Ein Zei-
ger gibt die sogenannte Kleine Uhr mit der Zählung I–XII
an, der andere zählt die Ganze Uhr auf den Skalen 1–24 so-
wie viermal I–VI, wie sie in Italien und Böhmen üblich war.
Beliebt waren ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Figu­
renuhrenmit spielerischen Funktionen, so beispielsweise in der
Form eines Elefanten. Gehwerk und Schlagwerk sind in dem
Turm verborgen, den der Dickhäuter auf seinemRücken trägt.
rechts
Taschenuhrwerke im Depot
des Bayerischen Nationalmuseums. 18. und 19. Jahrhundert.
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