aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 24

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aviso 1 | 2014
Der Zahn der Zeit
Colloquium
Text:
Josef H. Reichholf
»Besser wär’s, sie
wüssten es nicht«, wird so
mancher Hundehalter stöhnend gewünscht haben.
Dann könnten Frauchen oder Herrchen bestim-
men, wann es Zeit zum Gassigehen ist, und nicht
die Hunde. Die sollten sich besser ein Beispiel an
ihrem Lieblingsfeind, der Katze, nehmen. Den
lieben langen Tag kann sie genussvoll verschla-
fen, und sei dieser noch so schön. Doch der Hund
schiebt sich fordernd hinein in unseren meistens
viel zu dichten Zeitplan, der gleich beide große
Stressverursacher in einem Wort vereint, die Zeit
und den Plan. Auf die Frage, was er mit am meis-
ten an Tieren schätze, soll Konrad Lorenz einstens
geantwortet haben: »Dass sie so herrlich faul sein
können!« Diese Erkenntnis kam demVater der Ver-
gleichenden Verhaltensforschung und Nobelpreis-
träger offenbar gerade, als er umgeben von seinen
auf ihn geprägten Gänsen in einem Schlammloch
saß. Die munteren Gössel hielten ihn davon ab,
über das Thema weiter zu philosophieren. Einige
seiner Schüler und Hundertschaften anderer Zoo-
logen griffen es auf und arbeiteten sich – meistens
allerdings unter großem Zeitdruck, weil die For-
schungsgelder zeitlich begrenzt waren – mit raffi-
nierten Fragestellungen und schwerem Gerät hin-
ein in das Zeitempfinden der unterschiedlichsten
Tiere, ja sogar der Pflanzen. Alsbald ergab sich
daraus der Verdacht, dass die Uhr, mit der wir
die Zeit messen, nichts wesentlich anderes leistet
als das, was die inneren Uhren anderer Lebewe-
sen seit Urzeiten beherrschen, nämlich den rech-
ten Umgang mit der Zeit. Vielleicht ticken unsere
Uhren gar nicht richtig, will heißen, biologisch
vernünftig, weil sie uns eine Zeit aufzwingen, die
für unseren Körper oftmals nicht die richtige ist.
Von Natur aus würden wir anders ticken, so man
uns ließe. Das Gefühl sagt uns das, seit wir in die
Schule mussten. Doch mögen wir auch noch so
rebellieren gegen zu knappe Zeit und Terminstress,
unsere inneren Uhren werden dazu nicht (mehr)
gehört, seit es die äußeren, die mechanischen
und gänzlich gefühllosen Ticker gibt. Frustrie-
rend ist das, und zwar für die allermeisten von uns.
Sogar imUrlaub oder in der Freizeit, wenn wir Zeit
haben sollten, kämpfen wir mit der Zeit, weil auch
diese freie Zeit verplant sein will. Sonst wird uns
die Zeit lang, was in noch mehr Stress auszuarten
pflegt. Wir können damit nicht umgehen wie die
Katze, die sich selbstzufrieden schnurrend in den
Tag versenkt.
vorhergehende Doppelseite
Die Zug-
vögel folgen ihrer inneren Uhr. Im letzten
Herbst flogen die Kraniche bis Ende
November über den Landkreis Fulda.
Das Bild wurde Mitte November 2013
in der Abenddämmerung in Künzell
bei Fulda aufgenommen.
oben
Konrad Lorenz im Gänsemarsch
mit den Graugänsen, die er sofort nach
dem Schlüpfen auf sich geprägt hatte.
darunter
Der Dackel versteht es be-
sonders gut, mit seinem sprichwörtlich
gewordenen vorwurfsvollen »Dackel-
blick« sein Herrchen oder Frauchen an
den längst fälligen Spaziergang
zu erinnern.
darunter
Katzen schlafen tagsüber aus-
giebig. Lieber sind sie in der Dämme-
rung und nachts aktiv. Sie sehen gut bei
schwachem Licht.
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