aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 18

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aviso 1 | 2014
DER ZAHN DER ZEIT
Colloquium
Sieben
Irrtümer
rund
um die
innere
Uhr
Erkenntnisse der
Chronobiologie
Text:
Till Roenneberg
Wir gehen abends
zu Bett und wachen morgens auf. Dies ist so trivial, dass die ›Chrono­
biologie‹, die Wissenschaft, die biologische Uhren imDetail untersucht, erst in den 50er Jah-
ren etabliert wurde. Fünfundsechzig Jahre später wissen wir, dass hinter dieser Trivialität
ein komplexes biologisches Kontrollsystem steckt, mit biochemischen Uhren in jeder Zelle
und bei Tieren Kontrollzentren im Gehirn. Dieses evolutionär uralte Zeitsystem generiert,
von einzelligen Blaualgen bis zum Menschen, einen ›Innentag‹, der alle biologischen Funk-
tionen im Tagesablauf regelt – von Genen, über Hormone bis zum Verhalten, wie Schlaf
oder kognitive Fähigkeiten. In diesem Beitrag wird der Zusammenhang zwischen inne-
rer Uhr, der sozialen (Außen-)Uhr, Schlaf, Gesundheit und Leistung an Hand von sieben
Irrtümern beleuchtet.
1. Irrtum: Die innere Uhr kann durch soziale Signale gestellt werden
Da die Länge unserer Innentage nicht genau 24 Stunden ausmacht (daher auch ›circadiane‹
Uhr), muss die innere Uhr täglich gestellt werden. Bei Säugetieren geschieht dies über ein
›Uhrenzentrum‹ im Gehirn, dem suprachiasmatischen Nukleus (SCN), der über der Seh-
nervenkreuzung liegt. Das Stellen der Innenzeit erfolgt über Licht und Dunkelheit (wahrge-
nommen über spezielle Rezeptoren in der Netzhaut; Chronobiologen nennen die Umwelt-
signale, die innere Uhren stellen können, Zeitgeber). Wie stark die circadiane Uhr auch des
Menschen vom Zeitgeber Licht abhängt, zeigen Blinde, die keinerlei Licht wahrnehmen. Sie
können sich nicht mit der Außenzeit (weder der sozialen noch der Sonnenzeit) synchroni-
sieren, sodass ihre Innentage etwa 25 Stunden betragen, obwohl sie in regelmäßige Tages-
abläufe eingebunden sind, die ihnen ausreichend soziale Signale liefern.
Damit sich die
innere Uhr mit dem 24-Stunden-Tag synchronisieren kann, muss sie auf
ihren Zeitgeber zu verschiedenen Innenzeiten unterschiedlich reagieren. Licht am inneren
Morgen stellt sie früher und am inneren Abend später. Soziale Signale können die innere
Uhr zwar auch beeinflussen, aber nur indirekt. Wenn wir uns – etwa durch den Wecker im
Sommer – früher hellerem Licht aussetzen oder uns abends früher in einen dunklen Raum
zurückziehen. Es sind also immer veränderte Lichtsituationen und nicht direkt soziale
Signale, die die innere Uhr verstellen.
© picture alliance dpa
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