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Dem

Motorrad–

Boom

folgt die

Unfallwelle.

Fortsetzung von S. 16

intensiv gegensteuern läßt,

hat mit Neid, Voreingenom–

menheit und Mißgunst nichts

zu tun. in Wahrheit ist es

Angst, tiefe Sorge um Leben

und Gesundheit des eigenen

Kindes. Sie bringen es nicht

fertig, vor dem schrecklichen

Menetekel der Unfall-Stati–

stik die Augen zu schließen,

das Tag für Tag und beson–

ders nach Wochenenden mit

Motorradwetter in der Presse

erscheint. Und sie tun gut

daran.

Die Zeitungen sind voll

von Schreckensmeldungen.

So berichtete die Deutsche

Presseagentur am 8. April

dieses Jahres von einem Fron–

talzusammenstoß zweier Au–

tos auf der Vilstalstraße im

Landkreis Passau, bei dem

fünf junge Menschen den

Tod fanden. Am gleichen Tag

starben zwei junge Männer

bei einem Frontalzusammen–

stoß auf der Bundesstraße 22

zwischen oberviechlach und

Weiden. Zur selben Stunde

fuhren im Landkreis Aichach–

Friedberg ein 20jähriger Mo–

torradfahrer und sein 18jäh–

riger Sozius in den Tod, als

ihre Maschine wegen zu ho–

her Geschwindigkeit (die Po–

lizei sprach von "eigenem

Leichtsinn ") in einer Rechts–

kurve von der Fahrbahn ab–

kam und gegen zwei Beton–

pfähle prallte. Drei typische

jugendunfälle, alle am glei–

chen Tag: Neunfach ausge–

löschtes Leben, das das Le–

ben noch vor sich hatte.

Am Wochenende vom 3.

zum 4. Juni 1978 war der

ADAC-Rettungshubschrauber

allein im Großraum München

16mal unterwegs, davon 10-

mal wegen schwerverletz–

ten jungen Motorradfahrern .

Die blutige Bilanz solcher

Einsätze sind Schädelfraktu–

ren, vielfache Knochenbrü–

che, schwerste innere Verlet–

zungen, Querschnittslähmun–

gen usw. Im Verkehrsbericht

des Polizeipräsidiums Mün–

chen für das Jahr 1977 sieht

das Unfallrisiko bei den typi –

schen Jugendfahrzeugen fol–

gendermaßen aus: Motorrä–

der, Mopeds, Mofas usw. stel-

18

len nicht einmal drei Prozent

vom Gesamtbestand der

Kraftfahrzeuge. Aber auf das

Konto dieser winzigen Schar

gehen 11 Prozent der Unfall–

verletzten; von den Unfallge–

töteten sind es sogar spekta–

kuläre 18 Prozent!

Dieses tragische Bild ist

nicht auf die Metropole

München und ihr Umfeld be–

schränkt. Aus allen bayeri–

schen Regierungsbezirken si–

gnalisiert di e Statistik im

Grund den gleichen schockie–

renden Tatbestand, und zwar

schon seit einigen Jahren.

Gerade die von der Jugend

leidenschaftlich bevorzugten

motorisierten Zwei-

junger Kraftfahrer in erster

Linie um ein Altersproblem

handelt und nicht um ein An–

fängerproblem. Das heißt:

Nicht Fahrunsicherheit und

Bedienungsfehler führen zum

typischen JugendunfalL Die

Ursachen liegen ganz woan–

ders. Haas und Reker, zwei

ausgewiesene Unfallforscher,

erkannten: junge Leute fah–

ren mit höherer Geschwin–

digkeit, zeigen eine größere

Risikobereitschaft als Perso–

nen fortgeschrittenen Alters.

Jugend hat offenbar weniger

Skrupel und Bedenken vor

riskanten Manövern. Sie miß–

achtet oder unterschätzt gern

die Gefahr. Ihre

räder sind durch–

wegs im Unfallge–

schehen um mehre–

re hundert Prozent

!!überrepräsentiert",

das heißt zahlenmä–

ßig viel stärker be–

teiligt als man es

normalerweise er–

warten dürfte. Und

noch etwas sollte

zu denken geben:

Bei Motor–

rädern ist der

Unfalltod

sechsmal

häufiger als

bei Personen–

kraftwagen.

Scheu ist geringer,

die Angstschwelle

liegt erheblich hö–

her als bei älteren

Fahrern .

Zwei andere Un–

fallforscher, Breir:t–

bauer und Höfner,

fanden bei jugend-

~

2000

lichen

PKW-Fah- ·

Pkw

Motor•

rern

überdurch-

Von den Autoun–

fällen geht jeder

dritte glimpflich ab .

(33%), bei Kraft–

rädern hingegen ist

t

rlder

tt

tt

ti

schnittlich

häufig

11

gefährliche, zum

nur jeder vierzehn–

--

Unfall

führende

Fahrmanöver", ins–

besondere die Nei–

gung zum Kurven–

schneiden.lm

Drang

nach vorne wech–

seln sie ohne viel

te ein BagatellfalL

Quelle: Bayer.

Mit anderen Wor–

Staatsministerium

des lnnern

ten: Die neider–

weckenden,

vielbewunder–

ten Feuerstühle sind nicht

nur spektakulär häufiger in

Unfälle verwickelt; es gehört

auch eine viel größere Por–

tion Glück dazu, hier noch

·einmal davonzukommen.

Jahr für Jahr werden in der

Bundesrepublik annähernd

fünfzehntausend Menschen

durch Verkehrsunfälle getö–

tet. Stets sind dabei unter

den Opfern und unter den

Verursachern

die jungen

Menschen überrepräsentiert.

Von den 76 während des

letzten Jahres in der Stadt

und im Landkreis München

getöteten

Fahrzeugführern

war fast die Hälfte noch kei–

ne 25 Jahre alt. Der gleiche

erschreckend hohe Wert zeigt

sich bei den verletzten.

!! Deutschlands Jugend stirbt

auf den Straßen " -dieses er–

schütternde Urteil über un–

sere Motorisierungs-Misere

fällte Professor Dr. Schwei–

kert, Chef der Chirurgischen

Klinik in Mainz. Er weiß es

aus der täglichen Praxis.

Alle Untersuchungen stim–

men darin überein, daß es

sich bei der katastrophal

überhöhten Unfallbelastung

Bedenken auch auf

die falsche Fahrbahnseite,

kommen häufiger ins Schleu–

dern und von der Straße ab.

Bei den unfallträchtigen Fahr–

fehlern der Jugend ist auch

fast immer eine auffällig

11

dy–

namische Komponente" im

Spiel, die auf rasches, unge–

stümes

Vorwärtskommen

drängt: Man will sich durch–

setzen im Straßenverkehr.

Natürlich vermehrt diese

kämpferische Grundhaltung

das Unfallrisiko.

Längst weiß man auch, daß

junge Leute eine "starke Ten–

denz zur Selbstbestätigung

auf der Straße" zeigen, daß

sie Ärger und Feindseligkei–

ten oft am Steuer entladen

und eine aufgespeicherte Be–

reitschaft zum Wettrennen in

den Straßenverkehr mitbrin–

gen. Damit wird klar: Die

Problematik der Jugendmoto–

risierung ist keine Frage der

Fahrtechnik, sondern ' des

Fahrstils. Das aber heißt letz–

ten Endes eine Frage der

menschlichen Reife, der cha–

rakterlichen Festigkeit.

Die Bundesanstalt für Stra–

ßenwesen zieht hieraus den

sicher richtigen Schluß, daß

man die hohe Unfallbeteili-

gung jugendlicher wohl nur

durch eine Beeinflussung ih–

rer Persönlichkeitsdisposition

senken kann. Was immer

damit eigentlich gemeint ist:

in der Fahrschule kann diese

wünschenswerte erzieherische

Beeinflussung schon deshalb

kaum stattfinden, weil die

Zeit dafür fehlt. Die Führer–

scheine der Klassen vier und

fünf gibt es ja sogar nur ge–

gen ein einfaches Ausfüllen

von Fragebogen.

Ist es, so bleibt zu fragen,

im wohlverstandenen Inter–

esse der jugendlichen, wenn

ihnen hochherzige Patenon–

kel oder mildtätige Omas

ohne vorhergehende strenge

" Reife "- Prüfung ein Moped

oder gar das eigene Motor

rad finanzieren helfen? Sol

ten uns nicht schon die

enorm hohen Versicherungs–

prämien dieser Fahrzeuge zu

denken geben und Zurück–

haltung nahelegen? Es ist viel

zu wenig bekannt, daß nach

den Unterlagen der Versiche–

rungsgesellschaften bei PKW–

Unfällen mit Insassenverletz–

ten fünf Prozent der Betrof–

fenen schwer oder tödlich

verletzt werden - bei Motor–

rad-

und Mopedunfällen

hingegen 60 Prozent! Fahr–

zeuge ohne Stoßstange, ohne

Sicherheitsgurt und schützen–

des Blech machen nun ein–

mal zwangsläufig Kopf und

Körper zur

11

Knautschzone ".

Die Bundesanstalt für das

Straßenwesen nennt als Lern–

ziel für jugendliche Kraftfah–

rer eine sehr demokratisc

Tugend: die Toleranz. G

meint ist damit eine ruhige,

geduldige, nachsichtig-maß–

volle Haltung im Straßenver–

kehr. Nur wer es fertigbringt,

gelassen auf die Fahrweise

und Fehler anderer zu rea–

gieren, anstatt seine Vorfahrt

durchzuboxen, nur wer Mo–

tortauglichkeit nicht mit Ge–

schwindigkeit beweisen will

und riskante Fahrmanöver

nicht für sportlich, sondern

für gemeingefährlich hält, nur

der hat wohl die richtige in–

nere Einstellung. So lange

hier kein Wandel geschieht,

bezahlt unsere Jugend ihr .

durchaus nicht schuldhaftes,

sondern nur altersbedingtes

Zuwenig an

11

Reife'', an

Selbstdisziplin und charakter–

licher Festigkeit mit Quer–

schnittslähmunger), schwer–

sten Kopfverletzungen, ampu–

tierten Gliedern, Organquet–

schungen, Knochenbrüchen

und in verzweifelt vielen Fäl–

len auch immer wieder mit

dem Tod.