Jedes Kind spielt ja und entwickelt da–
bei Phantasie . Ich möchte nachdrück–
lich dazu ermuntern, beim kreativen
Prozeß auch Irrwege und Umwege zu–
zulassen. Denn die Fähigkeit, etwas
Mißlungenes oder im Moment Un–
brauchbares verwerfen zu können, ist
ein wesentlicher Schritt auf dem Weg
zum selbständigen Denken. Wenn
man aber von Anfang an ängstlich
darauf bedacht ist, nur ja keinen Feh–
ler zu machen, kann man natürlich
nichts Neues entwickeln. Diese Angst
setzt sich dann auch bei manchen For–
schern fort. Viele Wissenschaftler
schränken sich selbst ein durch ihre
Befürchtung, sich bei einem Mißerfolg
in Fachkreisen zu blamieren .
.,Nach dem
Nobelpreis
ist man
nicht mehr
so unbe–
schwert."
Wie haben Sie denn selbst Ihre eigene
Schulzeit erlebt?
Für mich war immer wichtig, daß mir
die Schule Spaß macht. Auf Noten
habe ich nicht so sehr geachtet. Da–
mals konnte man sich das auch eher
erlauben; wir waren ja noch nicht in
dem Maße vom Wettbewerb um die
Studienplätze bedroht, wie das heute
in manchen Fächern der Fall ist. Ich
muß zugeben, ich war kein besonders
fleißiger Schüler.
Aber in Physik hatten Sie doch be·
stimmt immer eine Eins!
Keineswegs. Gerade in diesem Fach
hatte ich manchmal große Probleme,
weil ich, wie gesagt, für die Schule
nicht allzuviel getan habe. Anderer–
seits kam mir das oft zugute, denn in
16 SCHULE
aktuell
der Klassenarbeit mußte ich regel–
mäßig eigene Theorien entwickeln,
wie eine bestimmte Aufgabe wohl zu
lösen wäre. Da lief mir dann immer
die Zeit weg, aber es war eine gute
Schulung für später.
Diese Methode ist ja wohl nur für
hochbegabte ·Kinder geeignet. Der
Durchschnittsschüler würde damit
si·
cher schnell Schiffbruch erleiden.
Da gebe ich Ihnen vollkommen recht.
Eine solche Arbeitsweise liegt natür–
lich nicht allen . Im Unterricht sollte je–
der mit seinen Anlagen zum Zug kom–
men; keine Fähigkeit darf überbetont
werden. Nur finde ich, daß Phantasie
und Kreativität bei uns noch mehr ge–
fördert werden müßten, gerade weil
man sie später im Leben so dringend
braucht.
Auf welchem Gebiet sind Sie im Mo·
ment kreativ?
Ich befinde mich augenblicklich in ei–
ner Phase, wo ich noch kein konkretes
Ziel anpeile. Ich überlege gerade,
wie ich die· nächsten zehn Jahre ge–
stalten will.
Hängt das vielleicht damit zusammen,
daß Sie der Nobelpreis unter Erfolgs·
druck gesetzt hat und Sie deswegen
zögern, ein neues Forschungsgebiet
anzugehen?
Natürlich schafft es Probleme, wenn
man auf der Erfolgsleiter plötzlich
ganz oben steht; Da hat man schon
das Gefühl, beweisen zu müssen, daß
man den Preis auch wirklich verdient
hat. Ich bin heute nicht mehr so unbe–
schwert wie vorher. Außerdem möch–
te ich jetzt natürlich an etwas arbei–
ten, das mindestens so aufregend ist
wie die Entwicklung der Tunnel- und
Kraftmikroskopie.
Auf der anderen Seite hat der Nobel–
preis Ihnen doch sicher viele Türen
geöffnet.
Ja, aber man wird auch sehr verein–
nahmt. Viele Leute interessieren sich
dabei nicht für mich persönlich, son–
dern nur für den Nobelpreisträger. Ich
werde zum Beispiel gebeten, irgend–
wo einen Vortrag zu halten, weil das
für eine Institution prestigefördernd ist.
Würden Sie ·sich wünschen, daß Ihre
Kinder in Ihre Fußstapfen treten?
Ich habe nicht den Ehrgeiz, daß mein
Sohn oder meine Tachter nun unbe–
dingt Abitur machen und studieren
müssen. Sie sollen ihren eigenen Weg
suchen, der dann auch völlig anders
sein kann als meiner.
Welchen Anteil hat Ihre Familie an
Ihrem Erfolg?
Einen sehr großen . Vor allem meine
Frau; sie ist Psychologin und hat mir
viel geholfen. Es ist eminent wichtig,
einen Gesprächspartner zu haben,
mit dem man über alle menschlichen,
aber auch beruflichen Probleme reden
kann. Das hat mir meine Arbeit ei–
gentlich erst ermöglicht.
Was macht ein Nobelpreisträger für
Physik, wenn er sich nicht mit Physik
beschäftigt?
Ich habe eine Zeitlang sehr intensiv
Sport getrieben und Musik gemacht,
auch gemalt. Anstatt mit Ölfarben auf
der Leinwand male ich im Moment mit
dem Computer und erstelle zum Bei–
spiel zusammen mit meinen Kindern
kleine Zeichentrickfilme.
Welchem physikalischen Geheimnis
würden Sie gerne noch auf die Spur
kommen?
Man müßte beweisen können, daß
auch die physikalischen Gesetze et–
was mit Evolution zu tun haben. Das
würde die Möglichkeit eröffnen, so
komplizierte Denkmodelle wie die
Quantenmechanik anschaulich zu ma–
chen. Wenn es eine solche Theorie
gäbe, nach der sich alle physikali–
schen Gesetze auf einen Ursprung
zurückführen lassen, würde ein Traum
von mir in Erfüllung gehen .
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