H
err Professor, 1986 bekamen
Sie zusammen mit Heinrich Roh–
rer den Nobelpreis für Physik.
Können Sie sich noch an den Augen–
blick erinnern, als Sie die Nachricht
erhielten?
Das war ein sehr spannender Mo–
ment. Kurz zuvor hatte es zwar schon
einige Gerüchte in dieser Richtung ge–
geben, so daß die Mitteilung nicht
völlig überraschend kam. Aber wenn
morgens das Telefon klingelt, und am
anderen Ende meldet sich Stockholm,
dann - das muß ich zugeben -
schlägt das Herz schon ein bißchen
schneller.
Die Auszeichnung haben Sie für die
Entwicklung des Rastertunnelmikro–
skops erhalten. Was kann sich der
Laie darunter vorstellen?
Dieatomare
Oberflächenstruktur
von
Silizium
Das Rastertunnelmi–
kroskop ist ein Ge–
rät, mit dem man se–
hen kann, wie sich
Materie aus klein–
sten Teilchen auf–
baut, das heißt, man
kann die atomare
Struktur einer belie–
bigen Oberfläche
analysieren. Sie müs–
sen sich das so vorstellen, daß dabei
eine feine metallische Sondenspitze
über eine Materialprobe geführt wird
und deren Profil quasi punktweise ab–
tastet. Das Ergebnis der Untersuchung
ist dann auf einem Bildschirm zu se–
hen. Es handelt sich bei diesem Mikro-
14 SCHULE
alctue/1
"Zu einem
kreativen
Prozeß
gehören
auch
Irrwege."
skop also eigentlich um ein mechani–
sches Instrument, und gerade das hat
die naturwissenschaftliche Weit so
überrascht. Denn im Zeitalter der Mi–
kroelektronik hatte keiner damit ge–
rechnet, daß man sich mit einer me–
chanischen Methode tatsächlich, Atom
für Atom, Materie anschauen kann.
Wo liegen die praktischen Anwen–
dungsmöglichkeiten dieses Gerätes?
Ich habe einige Jahre später in den
USA zusammen mit einem deutschen
und einem amerikanischen Kollegen
die Tunnelmikroskopie zur Kraftmikro–
skopie weiterentwickelt; sie findet in
der Industrie Anwendung, etwa wenn
man die Oberflächenbeschaffenheit
von Produkten wie Kugellagern oder
"Den
Deutschen
mangelt
es an
Pion iergeist.••
Chips in der Mikroelektronik ganz ge–
neu untersuchen will. Auch im Bereich
der Biologie leistet diese Methode ei–
niges. Man kann sich an lebenden
Zellen Prozesse anschauen und bei–
spielsweise sehen, wie und an wel–
chen Punkten Viren austreten. Ich könn–
te mir durchaus vorstellen, daß es bald
auch möglich sein wird, mit Hilfe der
Kraftmikroskopie AIDS -Viren zu beob–
achten.
Ging mit Ihrer Erfindung ein Traum
der Wissenschaft in Erfüllung ?
Ja, das kann man sagen. DieWeit der
Atome ist einem plötzlich sehr nahe
gerückt. Es ist, als ob man sie mit der
Fingerspitze berühren könnte.
Warum gibt es eigentlich in Deutsch–
land heute vergleichsweise wenig No–
belpreisträger im Bereich der Natur–
wissenschaften?
Ich finde, die Deutschen stehen für eu–
ropäische Verhältnisse relativ gut da,
wobei allerdings die entsprechenden
Forscher ihre Ergebnisse oft im Aus–
land erarbeiten. Insgesamt liegen die
Amerikaner aber natürlich immer noch
vorn.
Worauf führen Sie das zurück? Haben
wir in Deutschland einen · Technolo–
gierückstand?
Den haben wir in der Tat, aber .nicht
im Vergleich zu den Amerikanern, son–
dern verglichen mit den Japanern. ln
den fernöstlichen Ländern gibt es heu–
te nämlich ein großes lnnovationspo–
tential; die Leute sind dort sehr dyna–
misch. Und außerdem haben sie