Geschwister aussehen. Sie wird
nie die Wunder der Natur, den
Mond oder die Sonne mit eige–
nen Augen erblicken. Sie muß
sich jeden Gegenstand erta–
sten, sich von anderen erzählen
lassen, was ein Baum ist, wie er
wächst und blüht. Anna lebt in
einer Weit der völligen Dunkel–
heit. Anna ist von Geburt an
blind. Der Grund dafür: Auch
ihre Mutter war in der Schwan–
gerschaft an Röteln erkrankt.
Weil sie keine Abwehrstoffe im
Blut hatte.
ln beiden Fällen hätte die
schwere Behinderung vermie–
den werden können . Ein einfa–
cher Bluttest hätte genügt.
Durch ihn kann der Arzt näm–
lich leicht nachweisen, ob sich
im Körper einer Frau bereits
Abwehrstoffe
gegen
eine
Rötelnerkrankung
befinden
oder nicht. Fehlen die Antikör-
r, bietet die Schutzimpfung
ewähr, daß bei einer Schwan–
gerschaft das Kind gesund
bleibt, wenn die werdende
Mutter
Rötelnviren
auf–
schnappt.
Doch man sollte mit der Imp–
fung keinesfalls warten, bis die
Mädchen erwachsen geworden
sind . Professor Heinz Spiess,
Direktor der Kinderpoliklinik
der Universität München, emp–
fiehlt daher vorsorglich zwei
Termine für die Röteln-Schutz–
impfung. Der erste soll schon
bei Kleinkindern ab dem 15 .
Lebensmonat wahrgenommen
werden, zusammen mit der
Schutzimpfung gegen Masern
und Mumps.
Der zweite, allen Mädchen
dringend anzuratende Termin,
liegt zwischen dem 10. und 15.
Lebensjahr, also vor Eintritt der
J
IIen Geschlechtsreife und da-
it vor jeder Möglichkeit einer
Schwangerschaft.
Angst vor der Impfung
braucht niemand zu haben. Ein
leichter Nadelstich- und schon
ist alles ausgestanden. Dabei
werden in den Körper abge–
schwächte Röteln-Viren ge–
spritzt. Sie führen dazu , daß
dort die notwendigen Abwehr–
stoffe gebildet werden. Eine
spätere Ansteckung ist damit so
gut wie ganz ausgeschlossen .
Weitgehend geschützt vor
einer Infektion ist auch, wer im
Kindesalter mit Röteln ange–
steckt wurde. Dadurch hat sein
Abwehrsystem bereits Antikör–
per gebildet. Wenn daher Im
Kindergarten oder in der Schule
Röteln auftreten, sollte man
sein Kind deswegen nicht vor–
sorglich zu Hause lassen; denn
neben der Impfung bieten sol–
che "wilden Röteln" den besten
Schutz vor einer Wiedererkran–
kung in späteren Jahren .
Bei den Röteln handelt es
sich zunächst um eine anstek–
kende Kinderkrankheit, die al–
lerdings auch Erwachsene be–
kommen können. Übertragen
wird sie durch Tröpfcheninfek–
tion . Das heißt, die Viren wer–
den durch Husten, Niesen,
"feuchte Aussprache" oder mit
dem Atem von Mensch zu
Mensch weitertransportiert.
Der Verlauf der Krankheit ist
in aller Regel harmlos. Das
Vorstadium erstreckt sich auf
ein bis fünfTage. Während die–
ser Zeit hat man etwas erhöhte
Temperatur, Schnupfen, Kopf–
schmerzen
und
gerötete
Augen.
Die eigentliche Rötelner–
krankung dauert dann noch
zwei bis drei Tage. Dabei treten
folgende Symptome auf: roter
Hautausschlag, Fieber, leichte
Gliederschmerzen und ge–
schwollene Lymphdrüsen hin–
ter dem Ohr und am Hinter–
kopf. Die Ansteckungsgefahr
beginnt aber schon etwa drei
Tage vor dem Hautausschlag.
Sie endet ungefähr fünf Tage
riach seinem Abklingen .
ln den meisten Fällen aber
treten die Symptome der Rö–
telnerkrankung gar nicht auf
oder sind nur sehr schwach
ausgeprägt. Daher wissen bis
zu 60 Prozent der schon einmal
mit Röteln Infizierten gar nicht,
daß sie diese Kinderkrankheit
durchgemacht haben.
Die besondere Gefahr der
Röteln für das ungeborene Le–
ben im Mutterleib hat der au–
stralische Augenarzt Dr. Gregg
entdeckt. Nach einer Epide–
mie im Jahre 1940 war ihm
aufgefallen, daß viele Säuglin–
ge mit angeborenen Augenfeh–
lern in seine Praxis gebracht
wurden .
Auf der Suche nach dem
Grund dafür machte er folgen–
de Entdeckung: Die Mütter die–
ser augenkranken Kinder hatten
sich zu Beginn ihrer Schwan–
gerschaft mit Röteln angesteckt.
· Bei seinen weiteren Forschun–
gen kam heraus, daß nur diese
Infektion die Gesundheitsschä–
den der Neugeborenen verur–
sacht haben konnte.
Über den Blutkreislauf der
Mutter waren die Viren in den
Körper des Kindes gelangt. Bei
einer Ansteckung im ersten Mo–
nat der Schwangerschaft führt
dies mit 80 bis 90 Prozent
Wahrscheinlichkeit zu schwe–
ren Entwicklungsschäden wie
Blindheit, Taubheit, Herzfeh–
ler, geistige Behinderung, Le–
berentzündung und Knochen–
veränderungen .
Obwohl mit den Forschun–
gen von Dr. Gregg die Gefahr
erkannt war, fand man lange
Zeit kein Mittel dagegen . Erst
die große Röteln-Epidemie von
1964/65 in den Vereinigten
Staaten von Amerika mit 20000
schwer mißgebildeten Neuge–
borenen rüttelte die Wissen··
schaftler auf.
Verschiedene Augen–
schäden bis hin zur
Erblindung: 62%
Andere Fehl–
bildungen
an Organen,
Knochenbau
Wo treten
meistens die
Schäden aufl
Störungen des
Gehörs bis zur
völligen Taubheit:
89%
Infiziert sich eine Schwangere
mit Rötelnviren, Ist das Baby
aufs höchste gefährdet. Fehlen
die Abwehrstoffe Im Blut der
MuHer, kommt es fast immer zu
schweren Mißbildungen. Das
Schaublid zeigt, welche Organe bei
83 untersuchten Fällen am häufig–
sten betroffen waren. Manche Kin–
der waren mehrfach geschädigt.
Quelle: lmpfkompendlum, St1,1ttgart 1976
Sie entwickelten jetzt mit al–
ler Energie Impfstoffe, und
schon 1969 kam der erste zum
Serieneinsatz. Seitdem wurden
auf der ganzen Weit viele Mil–
lionen erfolgreiche Schutzimp–
fungen gegen Röteln durchge–
führt.
Leider wird das Problem
hierzulande oft nicht ernst ge–
nommen. Jedes Jahr werden in
Deutschland rund 75 000 Frau–
en schwanger, ohne einen aus–
reichenden Schutz gegen Rö–
teln zu haben. Damit nehmen
sie unbewußt das Risiko in
Kauf, ein geschädigtes Kind zur
Weit zu bringen . ·
Die Röteln-Schutzimpfung ist
in Deutschland keine Pflicht.
Von dieser Krankheit geht näm–
lich keine Gefahr für die Ge–
samtbevölkerung aus, sondern
nur für solche Kinder, deren
Mütter sich in der Schwanger–
schaft anstecken .
Zwar wird die Schutz-Imp–
fung gegen Röteln vom Bundes–
gesundheitsamt
empfohlen.
Wie wenig aber diese Empfeh–
lung angenommen wird, ver–
deutlichen Zahlen : Auf 2000
Geburten ist in Deutschland
mit einem rötelngeschädigten
Kind zu rechnen. Insgesamt er–
gibt dies bei 600000 Geburten
pro Jahr rund 300 geschädigte
Neugeborene.
Wer sich klarmacht, wieviel
Leid und Enttäuschung durch
ein so geschädigtes Kind in der
Familie entstehen, wie schwer
der Lebensweg eines blind oder
taub geborenen Kindes ist, 'der
kann die weitverbreitete Nach–
lässigkeit gegenüber der Rö–
teln-Schutzimpfung nicht ver–
stehen.
Dies um so weniger, als da–
für weder lange Wartezeiten
noch umständliche Behörden–
gänge notwendig
sin~.
jeder
niedergelassene Arzt kann
nämlich diese Impfung vorneh–
men, also auch der Hausarzt.
Mit ihm kann man einen Ter–
min jederzeit vereinbaren .
Daher appelliert S&W an die
Eitern: Gehen Sie mit Ihrer
Tochter, noch ehe sie in die
Entwicklungsjahre kommt, zur
Röteln-Schutzimpfung! Dies ist
auch dann erforderlich, wenn
das Mädchen schon im Baby–
alter gegen diese Infektion ge–
impft wurde. Die Auffrischung
der Abwehrkräfte durch eine
zweite Impfung schadet auf kei–
nen Fall.
Wer heute diese kleine Un–
annehmlichkeit auf sich nimmt,
der erspart morgen seiner er–
wachsenen Tochter in der
Schwangerschaft eine große
Sorge.
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