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SCHULE aktuell sprach zum Thema

"Mädchenbildung " mit der Leiterin einer

Mädchenschule und einer Referentin im

bayerischen Kultusministerium.

S

chwester Canisia, wie veränderten

sich in den letzten 30 Jahren die

Berufswünsche der Mädchen?

Unsere Mädchen waren vor zwanzig,

dreißig Jahren wesentlich mehr auf das

Studium hinorientiert als heutzutage, wo–

bei sie damals in der Regel sogenannte

klassische Frauenfächer, wie z. B. soziale

Berufe oder Lehrberufe, wählten. ln den

letzten Jahren ist hier seltsamerweise eine

rückläufige Tendenz festzustellen. Heute

entscheiden sich unsere Mädchen - noch

dazu die besten - eher für einen Beruf in

der Industrie, z. B. als lngenieurassisten–

tin, und das, obwohl sie Abitur haben!

Wie beurteilen Sie die Einführung der

Koedukation?

Ich bezweifle sehr, daß durch die Koedu–

kation die schulische Gleichberechtigung

der Mädchen herbeigeführt worden ist.

Ebensowenig glaube ich, daß durch die

Koedukation die Gleichberechtigung der

Frauen entscheidende Impulse erhalten

hat. Man versuchte zwar, mit der Einfüh–

rung der Koedukation auch einige nicht

mehr zeitgemäße Rollenklischees zu be–

seitigen, aber das ist meines Erachtens

nicht geglückt.

Was spricht Ihrer Meinung nach heute

noch für eine Mädchenschule?

Zuerst einmal ist es an Mädchenschulen

sicher leichter, im Unterricht mädchenty–

pische Probleme aufzugreifen. Dabei ha–

be ich vor allem im Blick, daß ein Mäd–

chen sich in seinen besonderen Fähigkei–

ten entdeckt und diese dann zum Tragen

bringt. Außerdem glaube ich, daß an ei–

ner Mädchenschule das Klima anders als

an einer koedukativen Schule ist; es gibt

nicht so viel Krach, es wird nicht so viel

zerstört, und der Ton ist in der Regel wohl

auch .etwas höflicher.

18 SCHULE

aktuell

Welche Erziehungsziele verfolgen Sie an

Ihrer Schule?

Ich möchte qualifizierte junge Frauen _er–

ziehen, die einfach wissen: "Ich kann et–

was und mache es auch." Unsere Mäd–

chen sollen lernen, ihre Ansichten offen

zu vertreten, für ihre Rechte einzustehen

und nicht mit ihrer Meinung hinter dem

Berg zu halten.

Wie stehen Sie zu dem Vorwurf, daß

Mädchenschulen einen wirklichkeits–

fremden Schonraum schaffen?

Ich habe nicht den Eindruck, daß sich un–

sere Mädchen im späteren Leben nicht

bewähren- ganz im Gegenteil. Von mei–

ner pädagogischen Grundeinstellung her

tendiere ich dazu, daß man einen jungen

Menschen ähnlich einer Pflanze heran–

zieht, die man eine Zeitlang im Gewächs–

haus unter moderaten Temperaturen

pflegt, damit sie kräftiger wird.

Gibt es eine Altersstufe, wo.Sie sich Jun–

gen an Ihrer Schule wünschen würden?

Ja, z. B. in der 9. oder 10. Klasse - da

würde ich es begrüßen. Da wäre bei den

Mädchen schnell die Faszination weg,

weil sie bald merken würden, daß auch

Buben ganz normale Menschen sind.

Was erwarten Sie von den Eltern?

Daß sie unsre Schule nicht als einen päd–

agogischen Supermarkt betrachten, bei

dem man sich das eine oder andere her–

auspickt. - Wir wollen unsere Mädchen

nicht zu schwärmerischen religiösen Ge–

fühlen erziehen, sondern dazu bringen,

daß sie sich mit ihrem Glauben ernsthaft

auseinandersetzen. Das sollen die Eitern

tolerieren und bewußt mittragen.

F

rau Dr. Ewert, was halten Sie da–

von, Mädchen und Jungen in den

naturwissenschaftlichen

Fächern

getrennt zu unterrichten?

Aus meiner Sicht wäre die Aufhebung der

Koedukation in den naturwissenschaftli–

chen Fächern ein Schritt in die falsche

Richtung. Er hätte nämlich unter anderem

zur Folge, daß sich die Mädchenbildung

gerade in diesen wichtigen Bereichen ab–

sondern würde. Damit wäre die Gefahr

verbunden, daß die naturwissenschaftli–

che Ausbildung der Mädchen in der Ar–

beitswelt als zweitrangig angesehen wer–

den könnte. Mir scheint es besser zu sein,

durch gezielte Maßnahmen im Rahmen

des koedukativen Unterrichts das Interes–

se der Mädchen für die Naturwissen–

schaften und die Technik zu steigern und

ihnen Mut zu machen, sich selbstbewußt

und selbstverständlich mit diesen Berei–

chen zu beschäftigen. .

Welche Studienfächer wählen die Mäd–

chen hauptsächlich?

Die meisten Studentinnen an unseren

Hochschulen wählen nach wie vor Spra–

chen sowie kultur- und gesellschaftswis–

senschaftliche Fächer, wobei sich beson–

ders die Lehramtsstudiengänge großer

Beliebtheit erfreuen. Hier liegt der Anteil

der weiblichen Studenten häufig über

60 Prozent. ln manchen Studiengängen -

wie z. B. den technischen Fächern- domi–

nieren dagegen die Männer bei weitem.

Besonders ungünstig ist die Situation bei

den lngenieurwissenschaften; hier sind

die Frauen mit einem Anteil von etwas

über 11 Prozent nach wie vor stark unter–

repräsentiert.

Sind hier in den letzten Jahren Verände–

rungen festzustellen?

Es gibt durchaus Veränderungen. So ist

z. B. das Interesse der Frauen an den frü–

her als typisch männlich geltenden Diszi–

plinen Wirtschafts- und Rechtswissen–

schaften sehr stark gestiegen; hier lag

der Anteil der weiblichen Studenten 1986

immerhin bei 38 Prozent. Auffällig ist

auch, daß immer mehr Frauen ein Medi–

zinstudium aufnehmen. Betrug der

Frauenanteil an der Universität München

in den medizinischen Fächern 1976 noch

27 Prozent, so lag er 1990 bereits bei 46

Prozent.

Auf welche Weise wird versucht, eine

möglichst breitgestreute Fächerwahl der

Mädchen zu erreichen?

Auch heute noch spielen bei der Fächer–

und Berufswahl von Mädchen und jungen

Frauen traditionelle Verhaltensmuster

und Vorurteile eine wichtige Rolle. Um

vorhandene Barrieren abzubauen und

damit die Berufschancen der Mädchen zu ·

erhöhen, ist eine breite Palette von För–

dermaßnahmen in den verschiedenen Bil–

dungsbereichen erforderlich. Insbeson–

dere gilt es, in der Lehreraus- und -fort–

bildung die Voraussetzungen dafür zu

schaffen, daß gewerblich-technische und

naturwissenschaftliche Fähigkeiten und

Neigungen bei den Mädchen frühzeitig

erkannt und entsprechend gefördert wer–

den. Schulbezogene Maßnahmen stellen

aber nur einen Baustein im

notw~ndigen

Veränderungsprozeß dar. Angesichts der

entscheidenden Rolle der Erziehung in

der Familie kommt der Elternberatung

während der gesamten Schulzeit eben–

falls eine zentrale Bedeutung zu.