Interview
Kann man Schulabgängern einen Handwerksberuf emp–
fehlen? Immerhin sieht - laut einer Umfrage - ein Drittel
der Jugendlichen keine Chance, nach der Gesellenprü–
fung vom Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden.
Also, ich verstehe nicht, wie es zu einem solchen Umfra–
geergebnis kommen kann; denn es gibt - von einigen
Ausnahmen abgesehen - praktisch keinen jungen Men–
schen mit Gesellenprüfung, der arbeitslos ist. Eine hand–
werkliche Lehre ist daher auf jeden Fall zu empfehlen, sie
ist eine Rückversicherung gegen Arbeitslosigkeit.
Nach Pressemeldungen blieben 1989 im bayerischen
Handwerk rund 25000 Lehrstellen unbesetzt. Wo sehen
Sie die Gründe dafür?
Zunächst muß ich Sie da korrigieren. Nach neuesten Um–
fragen sind es sogar schon 50000. Dafür gibt es mehrere
Ursachen. Zum einen geht aufgrund der Bevölkerungs–
entwicklung die Zahl der Jugendlichen zurück, zum ande–
ren steigt durch die gute wirtschaftliche Lage die Nach–
frage nach Fachkräften, die aber von den Betrieben erst
einmal ausgebildet werden müssen. Und dann gibt es
noch einen dritten Bereich: Der Handwerker genießt halt
in unserer Gesellschaft - zu Unrecht - ein bedeutend
niedrigeres Ansehen als z. B. der Akademiker. Offen–
sichtlich spielt gerade das Image für die jungen Leute
eine große Rolle. Ich wundere mich immer wieder dar–
über, daß viele auf die Universität gehen, ohne nach den
späteren beruflichen Chancen zu fragen.
Eine Lehre
im Handwerk
ist eine Rück–
versicherung
gegen
Arbeitslosigkeit.
ln welchen Ausbildungsberufen sind denn die Nach–
wuchssorgen besonders groß?
Hier kann man wohl drei Gruppen nennen: Einerseits die
Handwerkszweige, bei denen man sich schmutzig macht,
zum Beispiel die Bauberufe; dann die Bereiche mit Ar–
beitszeiten, die von den üblichen abweichen - nehmen
Sie etwa den Bäcker oder auch den Metzger. Und
schließlich die Berufe, die nicht in den Vorteil des freien
Samstags kommen, wie Verkäuferinnen und Friseure.
16 SCHULE
aktuell
Was kann das Handwerk unternehmen, um das Nach–
wuchsproblern zu lösen?
Zuallererst muß der Handwerker ein größeres Selbstbe–
wußtsein entwickeln und mehr zu seinem Beruf stehen.
Das Handwerk besitzt doch Vorzüge; einige davon habe
ich ja bereits angesprochen, andere kommen noch hinzu.
Vergessen sollte man z. B. nicht, daß man in vielen Hand–
werksberufen auch gestalterisch tätig ist und man das Er–
gebnis der eigenen Arbeit noch sehen kann. Vergleichen
Sie das mal mit manchen Verwaltungsberufen; da wan–
dern doch viele Entwürfe entweder in die Registratur oder
gleich in den Reißwolf.
Wer kann sonst noch das Handwerk unterstützen?
Ich glaube, es ist an der Zeit, daß auch die Lehrer in den
Schulen und die Politiker den jungen Leuten die positiven
Seiten des Handwerks wieder stärker bewußtmachen
müssen.
Unter den Aussiedlern und auch den Übersiedlern aus
der DDR sind viele junge Leute. Kann durch sie der Ar–
beitskräftemangel im Handwerk, zumindest teilweise,
behoben werden?
Man muß das Ganze realistisch sehen. Nach der jüngsten
Umfrage haben wir im bayerischen Handwerk etwa
100000 offene Stellen; 80000 Fachkräfte und 20000 Un–
gelernte werden gesucht. Wenn jetzt auch viele Handwer–
ker aus der DDR nach Bayern gekommen sind, so ist da–
mit unser Problem sicherlich nicht gelöst.
Sie sprechen von 100000 offenen Stellen, andererseits
gibt es in Bayern viele Arbeitslose. Wie verträgt sich das?
Wissen Sie, die Zahlen, die hier im Umlauf sind, darf man
nicht so absolut nehmen. ln der Arbeitslosenstatistik tau–
chen z. B. Leute auf, die oft gar keine Arbeit suchen. Zum
anderen gibt es Arbeitnehmer, die gewisse Traumvorstel–
lungen haben, die einfach nicht realistisch sind. Ein wirkli–
ches Problem stellen eigentlich nur die Arbeitnehmer dar,
die aus Altersgründen nicht mehr vermittelbar sind.