Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 112

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
der Ort ist, an dem sich betreffende Jugendliche einen Großteil des Tages aufhalten. Im Kontext von
Schule kann dann auch politische Bildungsarbeit stattfinden.
6.2 Erste Ideen für die Prävention
1.
Eine Kultur der Partizipation und des Dialogs auf Augenhöhe schaffen.
Bei der Wahl der Mittel geht es um das Gesehen und Gehört werden. In diesem Kontext wird dann
auch Gewalt(handeln) relevant – als letztes Mittel um Aufmerksamkeit zu erlangen.
Mit Verweis auf die Agency-Theorie von Albert Bandura (1997)
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wurde bereits in den Ausführungen
zu Hypothese 2 in Kapitel 2.4 auf die Bedeutsamkeit der Erfahrung, durch eigenes Handeln etwas
gestalten und im Sinne eigener Vorstellungen realisieren zu können, als zentraler Bestandteil für eine
gelingende Sozialisation hingewiesen. Selbstwirksamkeitserfahrungen entstehen für Jugendliche in
Alltagssituationen, in denen sie eigene Optionen entwickeln und erproben können. In diesem Kon-
text ist auch die Anerkennung dieses Handelns durch signifikante Andere elementar. Die befragten
Jugendlichen erleben für sich das Gegenteil. Sie erleben nicht nur keine Aufmerksamkeit, vielmehr
werden sie in der Öffentlichkeit stigmatisiert und bezüglich ihrer Anliegen ignoriert. Die Ergebnisse
stützen auch Scherrs (2010, 253) Ausführungen, wie sie schon in Kapitel 4.4 dargestellt wurden, dass
eine „verweigerte politische Kommunikation, Prozesse der Ausgrenzung aus dem öffentlichen Dis-
kurs, Stigmatisierung und verstärkte staatliche Repression gerade jene Formen eines militanten Pro-
testes mit veranlassen und verursachen können, die sie zu verhindern beanspruchen“.
In diesem Kontext kann es nur darum gehen Engagement und Protest ernst zu nehmen, anzuerken-
nen und einen differenzierten Dialog mit den Engagierten zu suchen.
Die befragten Jugendlichen möchten etwas gestalten und zu einer Veränderung beitragen. Schulen
(aber auch alle anderen Lebensbereiche) können dafür sorgen, dass Jugendliche sich handlungsfähig
und handlungswirksam fühlen. Die befragten Jugendlichen erleben die Gestaltung des Schulalltags
jedoch als hierarchisch und der Umgang mit den Schülern als wenig demokratisch
.
Sie erleben u.a.
auch einen Widerspruch in dem Umgang mit ihnen und dem Anspruch der Vermittlung demokrati-
scher Werte. Die befragten Jugendlichen haben diesbezüglich bereits Wünsche geäußert: Sie möch-
ten beteiligt und mehr Optionen zur Mitbestimmung. Darüber hinaus wird die Diskussionskultur be-
züglich gesellschaftlicher und politischer Themen in vielen Schulen als rudimentär erlebt. Raum für
Diskussionen über den Sozialkundeunterricht hinaus sind nicht gegeben. Der durch G8 erhöhte Leis-
tungsdruck auf die Schüler verhindere zudem Engagement außerhalb des Schulalltags.
In präventiver Hinsicht sind bspw. Schulen ohne Rassismus zu nennen, die diesbezüglich bereits Pio-
nierarbeit leisten: Politisches Bewusstsein wird gefördert und Möglichkeiten zur Diskussion und des
Engagements sind im Schulalltag etabliert. Indem man Jugendliche und ihre Anliegen ernst nimmt
und eine Kultur des Dialogs schafft, kann auch der Abwärtsspirale entgegengewirkt werden, die zu
Frustration und Wut gekoppelt mit dem Gefühl von Ohnmacht und schließlich in Misstrauen bzw.
Vertrauensverlust gegenüber Staat und Politik münden kann.
Gleichzeitig besteht dann eine weitere Aufgabe darin, mit Jugendlichen in die Auseinandersetzung
bspw. über den Staatsbegriff zu gehen, um Prozesse zu verdeutlichen und die (bspw. in der Schule)
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Eine aktuelle Übersicht findet sich bei Bethmann/ Helfferich et al (2012).
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