Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 106

106
Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
Mittel relevant. Auch wenn die Befragten für sich dort eine Grenze gezogen haben, so bringen sie
Verständnis für gewaltförmiges Engagement und Protest von anderen auf. Was unter Gewalt ver-
standen wird, ist nicht eindeutig – problematisch und eindeutig als Gewalt definiert wird sie dann,
wenn sie sich gegen die körperliche Integrität von Menschen richtet. In diesem Kontext zeigt sich ein
ambivalentes Verhältnis bei den befragten Jugendlichen gegenüber Gewalt – zum einen nehmen sie
viel Gewalt um sich herum wahr, zum anderen wird Gewalt gegen Personen von ihnen abgelehnt.
Sachbeschädigung wird nicht unbedingt als Gewalt wahrgenommen und als letztes Mittel, wenn es
dem Zweck dienlich ist, toleriert. Dabei wird Gewalt kognitiv nie gutgeheißen und immer problemati-
siert, jedoch in Bezug auf Gewalt gegen Sachen auch relativiert. Wesentlich dabei ist, dass das Ver-
hältnis des Mitteleinsatzes stimmen muss. Es gibt Situationen, die Ausnahmehandeln erfordern, wie
bspw. solche, in denen man sich wehren muss. Darüber hinaus kann es passieren, dass man situativ
die selbst gesetzten Grenzen auch ungewollt überschreitet. Gleichzeitig gibt es auch Strategien, um
sich dagegen zu schützen.
Bei Jugendlichen, die Gewalt gegen Sachen als Mittel akzeptieren existieren zwei unterschiedliche
Grundhaltungen – eine instrumentelle versus einer wertorientierten, reflektierten Haltung.
Für Gewalt(handeln) spielen Emotionen eine zentrale Rolle. Diese können sich über längere Zeit an-
stauen (Frustration, Wut, Hass und Ohnmacht), oder aber auch bspw. in der Konfrontation mit ande-
ren Gruppierungen entstehen und in Gewalthandeln münden. Darüber hinaus hat der Wunsch nach
Aufmerksamkeit und Anerkennung Einfluss auf die Mittelwahl. Darin ist eine gewisse Paradoxie ent-
halten. Befragte verurteilen die Medien, die ihr Engagement auf den Gewaltaspekt reduzieren.
Gleichzeitig wird aber Gewalt von Engagierten eingesetzt um Aufmerksamkeit zu erfahren. Letztend-
lich ist auch in diesem Zusammenhang das Handeln aus einem Ohnmachtsgefühl heraus zu erklären –
damit die Medien überhaupt etwas berichten, greift man auf Gewalt zurück.
Vornehmlich entsteht Gewalthandeln in der Situation. Dabei spielen u.a. gruppendynamische Prozes-
se eine Rolle und selbst Personen, die Gewalt ablehnen, können in den Sog der Gruppe geraten und
mit ihrem Handeln Grenzen überschreiten. Für Gewalthandeln sind darüber hinaus Veranstaltungen
wie bspw. 1. Mai Demonstrationen relevant, die bereits Tradition haben und auf denen es regelmä-
ßig zu gewaltförmigen Ausschreitungen kommt. Gewalterfahrungen in der Biografie führen nicht
automatisch zur Ausübung von Gewalt im Rahmen von Engagement und Protest. Alkoholkonsum
wird als Faktor für eine Senkung der Hemmschwelle genannt. Ebenso die Uniformierung bzw. Mas-
kierung von Polizisten, hinter der die Person „verschwindet“.
5.7 Hypothesenprüfung – Reflexion der Ergebnisse
Im Vorfeld der Forschung wurden vier Hypothesen (Kapitel 2.4) formuliert, die an dieser Stelle mit
den Ergebnissen der Erhebung in Beziehung gesetzt und auf ihre Gültigkeit hin reflektiert werden
sollen.
1.
Politische Orientierungen im Jugendalter sind Teil eines Suchprozesses, in dem Subjekte ihre
identitäre Verortung in der Gesellschaft herauszufinden versuchen.
Die Studie hat gezeigt, dass sich das politische Interesse schon im Elternhaus entwickelt, jedoch auch
die Peergroup einen entscheidenden Einfluss darauf hat. Die Schule als Institution nimmt in diesem
Kontext eine nachrangige Rolle ein. Dabei haben Schlüsselpersonen und Schlüsselerfahrungen eine
1...,96,97,98,99,100,101,102,103,104,105 107,108,109,110,111,112,113,114,115,116,...126
Powered by FlippingBook