Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 110

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
Kapitel 6 Diskussion und die Aufgabe der Prävention
Mit dem Blick auf die Aufgabe von Prävention richten wir unseren Fokus nun auf die Problematiken,
die im Kontext von jugendlichem Engagement und Protest eine Rolle spielen können.
Zunächst ist jedoch festzuhalten, dass gesellschaftliches und politisches Engagement in unserer Ge-
sellschaft eine wichtige Funktion haben und die befragten Jugendliche u.a. auf gesellschaftliche und
politische Missstände hinweisen, die ernsthaft zu hinterfragen sind. Auch das Nachdenken über ver-
änderte Formen des Zusammenlebens und eine gerechtere Welt sind wünschenswert. Darüber hin-
aus geben die Ergebnisse Hinweise auf Strukturen und eine Kultur, die wenig Teilhabe, Möglichkeiten
der Gestaltung und Räume des Dialogs für Jugendliche bieten.
Kritisch zu hinterfragen sind die Mittel, die die legalen Grenzen überschreiten und im Rahmen von
Engagement und Protest von Jugendlichen gewählt werden. In diesem Kontext muss aber auch fest-
gehalten werden, dass Gewalthandeln ein Randphänomen darstellt, oft situativ entsteht und keinen
politischen Hintergrund haben muss. Diese Erkenntnis ist auch bezüglich der Etikettierung und Krimi-
nalisierung bestimmter Szenen zu bedenken.
Welche Relevanz genuin politisch motivierte Gewalt hat, ist schwer zu sagen. Zumindest in den vier
exemplarisch ausgewählten bayrischen Justizvollzugsanstalten sind wir nicht fündig geworden. Und
so ist auch noch einmal die Frage zu stellen, ob sich zum einen hinter jeder als „links“ oder „linksext-
remistisch“ eingestuften Straftat wirklich ein Täter verbirgt und ob zum anderen tatsächlich eine
politische Motivation zugrunde liegt. Die Ergebnisse der vom Berliner Verfassungsschutz veröffent-
lichten Studie im Jahre 2009 „Linke Gewalt in Berlin“ beziehen sich bspw. auf „Tatverdächtige“ und
nicht auf „Täter“. Darüber hinaus relativiert es die statistische Dokumentation von als „links“ oder
auch als „linksextremistisch“ eingestuften Straftaten, die jedes Jahr von den Innenministerien für die
einzelnen Bundesländer und für Gesamtdeutschland in Statistiken zusammengestellt werden – nicht
hinter jeder Straftat verbirgt sich automatisch auch ein Täter, der aus politischer Motivation gehan-
delt haben muss! Dazu gibt bspw. die Studie „Analyse der Gewalt am 1. Mai 2009 in Berlin“ (Hoff-
mann-Holland (2010) den Hinweis, dass Gewalt am 1. Mai in Berlin ein sehr heterogenes Phänomen
darstellt und nicht hinter jedem Steinwurf etc. eine politische Motivation zu vermuten ist. Zu diesem
Ergebnis kommen auch Möbius und Wendland (2011) in ihrer Studie, die u.a. die Ausschreitungen
am 1. Mai in Hamburg genauer untersucht haben.
Und auch in der vorliegenden Studie sind Hinweise zu finden, dass eher eine Abgrenzung gegenüber
Gewalt als Mittel des Engagements und Protests stattfindet und wenn doch Grenzen überschritten
werden, nicht unbedingt politische Motive alleine gewaltauslösend sind.
Was bedeuten diese Ergebnisse nun für die Aufgabe der Prävention? Bereits in Kapitel 4.4 wurden
erste Ideen unterschiedlicher Autoren im Rahmen der Literaturrecherche im Kontext „Linksextre-
mismus und Prävention“ zusammengetragen. Einige dieser Ideen werden nun aufgrund der empiri-
schen Ergebnisse der Studie noch einmal aufgegriffen und forciert, darüber hinaus werden weitere
Anregungen für die Aufgabe der Prävention zusammengetragen.
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