Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 103

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
10.
Gewalterfahrungen in der Biografie führen nicht automatisch zur Ausübung von Gewalt.
Das Gewaltphänomen im Rahmen von Engagement und Protest ist nicht (nur) biografisch zu erklä-
ren. Gewalterfahrungen spielen bei wenigen befragten Jugendlichen eine Rolle, führen aber nicht
automatisch dazu, dass man selbst militant agiert.
Einzelne Jugendliche haben Gewalterfahrungen in der Kindheit gemacht. Ein Jugendlicher mit Ge-
walterfahrungen in der Kindheit spricht sich gegen Gewalt aus, er betont vielmehr, dass die persönli-
che Integrität jedes Einzelnen eines besonderen Schutzes bedarf. Anders ist dies bei einem anderen
Jugendlichen mit Gewalterfahrungen in der Kindheit. Zu dessen Freizeitbeschäftigung gehörte es,
regelmäßig zu Demonstrationen zu gehen und dort wurde er mit Straftaten wie bspw. dem Verstoß
gegen das Vermummungsverbot oder schwerem Landfriedensbruch auffällig.
„I: Gibt’s auch Gewalterfahrungen in der Biografie? Wissen Sie da irgendwas drüber?
A: Also bei dem jungen Mann war das schon so, dass der aus einem relativ zerrütteten Eltern-
haus kam; die Eltern waren getrennt gewesen. Und der hatte da schon Gewalterfahrung durch
seinen Stiefvater erlitten und war auch letztendlich – er ist jung, also relativ jung schon in der
Psychiatrie gewesen, weil er da sehr introvertiert eher reagiert hatte, also sprich, da auffällig
gewesen ist durch Ritzen und durch also sich so zurückziehen, sich mit dieser Problematik Mut-
ter/Stiefvater auseinandersetzend.“ (Pädagogische Fachkraft)
Situative Gewalt erlebt hat bspw. eine Jugendliche im Alter von 13/ 14 Jahren. Sie hat die Erfahrung
gemacht, wie ihr bester Freund von „Rechten“ misshandelt wurde. Sie spricht sich gegen Gewalt aus
und reagiert nur militant, wenn sie das Gefühl hat sich wehren zu müssen.
„A: Außer, ich muss mich wehren. Wenn einer mit ‘nem Knüppel auf mich zukommt, renn ich
weg oder, wenn das irgendwie nicht geht, wehre ich mich. Aber ich schlage mich dann nicht
‘rum, das könnte ich gar nicht. Ein Tritt in der richtigen Höhe reicht meistens schon …“ (w)
5.6 Zusammenfassung Modul 2
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine ethnografische Studie. Forschungsgegenstand
sind Jugendliche, die sich im linken Spektrum engagieren. Durch die qualitative Ausrichtung der Stu-
die sind die Ergebnisse nicht als repräsentativ zu werten, wobei dies jedoch in diesem diffusen und
von Heterogenität geprägten Feld auch nicht möglich erscheint. Obwohl die Ergebnisfindung nicht
typologisch gesteuert war, finden sich Parallelen in den Befunden anderer Studien.
Das soziale Umfeld prägt das politische Interesse und das spätere gesellschaftliche bzw. politische
Engagement des Einzelnen.
Meistens entwickeln die Befragten ihr politisches Interesse schon im Elternhaus oder durch die
Peers. Bezüglich der politischen Richtung spielen auch Schlüsselpersonen wie bspw. enge Vertraute
oder Menschen, die eine Vorbildfunktion für den Betreffenden übernehmen und Schlüsselerfahrun-
gen eine Rolle. In diesem Kontext ist auch das erfahrungsbedingte Bedürfnis der Befragten nach Au-
tonomie und Selbstbestimmung relevant. Die befragten Jugendlichen entwickeln eine kritische Hal-
tung gegenüber jeder Form von Hierarchie und Unterordnung. Dies gilt auch für das spätere gesell-
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