Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 108

108
Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
3.
Die Erfahrungen mit der Wirksamkeit demokratischer Entscheidungswege sind für Jugendli-
che (und viele Erwachsene) enttäuschend. Die oft mühsam erzielten demokratischen Kom-
promisse, aber auch das Fehlen von zivilgesellschaftlichen Mitwirkungsmöglichkeiten können
das Vertrauen in demokratische Verfahrensprinzipien zerstören.
Die Studie hat gezeigt, dass Wut Auslöser und Motor und damit ein entscheidender Faktor für Enga-
gement und Protest der Jugendlichen ist und in diesem Kontext auch das Verhältnis der Befragten
gegenüber Staat und Politik erklärt werden kann. Die Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten und
Missständen in der Gesellschaft wird den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen zuge-
schrieben. Dies wird begleitet von Gefühlen der Ohnmacht den gesellschaftlichen Entwicklungen
ausgeliefert zu sein und sie nicht aufhalten zu können. Erwartungen an Staat und Politik, diese Miss-
stände aufzulösen werden nicht erfüllt, vielmehr entsteht der Eindruck, dass diese von staatlicher
Seite verfestigt oder gar erst produziert werden. Die enttäuschten Erwartungen führen zunehmend
zu einem Vertrauensverlust. Für die Befragten hat dies eine aktivierende Wirkung, da sie die Verant-
wortung für die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse bzw. Missstände je-
mandem gezielt zuschreiben können. Die Identifizierung eines Verantwortlichen steigert im vorlie-
genden Fall das Vertrauen in die Wirkmächtigkeit des eigenen Handelns und lässt die gesellschaftli-
chen Verhältnisse veränderbar erscheinen, Gefühle der Ohnmacht treten in den Hintergrund (aus-
führlich Kapitel 5.1.2.1).
4.
Die Zugehörigkeit zu einer gewaltbereiten Gruppe vermittelt Gefühle gesteigerter Hand-
lungswirksamkeit. Sie überwindet das Gefühl der individuellen Ohnmacht.
In diesem Kontext ist festzuhalten, dass Gefühle gesteigerter Handlungswirksamkeit durch die Zuge-
hörigkeit zu einer Gruppe in der Studie bestätigt wurden. Dass es sich dabei um eine Gruppe handelt,
die Gewaltbereitschaft zeigt, ist dafür (zunächst) nicht relevant. Bei den Befragten besteht die An-
sicht, dass gesellschaftliches bzw. politisches Engagement eine Gemeinschaft braucht, da man alleine
keine gesellschaftlichen Veränderungen herbeiführen kann. In der Erfahrung, dass friedliches Enga-
gement wenig bis keine Aufmerksamkeit erfährt, wird Gewalt für manche als Mittel relevant.
Auf Demonstrationen ist es weniger die gezielte Gewaltbereitschaft einer Gruppe als vielmehr situa-
tive Konstellationen, die gewaltauslösend wirken, wie Gruppendynamiken, die bspw. in der Konfron-
tation mit anderen Gruppen entstehen.
5.8 Differenzen zwischen Gewalt im linken und rechten Spektrum
Mit den Erkenntnissen der Studie soll in diesem Abschnitt noch einmal auf die aus totalitarismusthe-
oretischer Perspektive Gleichsetzung von linker und rechter Gewalt eingegangen und die Differenzen
herausgearbeitet werden.
Auch wenn die Pfade zur politisch orientierten Gewaltbereitschaft von situativen Zufälligkeiten mit
bestimmt werden, ist es doch notwendig zwischen linksradikalem und rechtsextremistischem Ge-
1...,98,99,100,101,102,103,104,105,106,107 109,110,111,112,113,114,115,116,117,118,...126
Powered by FlippingBook