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Einsichten und Perspektiven 4 | 17

von Union mit FDP und Union mit Grünen begannen

die Sondierungen in großer Runde, wobei sich zwischen-

drin eine kleinere Gruppe mit zentralen Akteuren getrof-

fen hat, um den Gesprächen neuen Schwung zu geben.

Da es keine gesetzlichen Fristen für die Regierungsbildung

gibt, deuteten sich langwierige Verhandlungen an – erst

das Erzeugen eines künstlichen, aber notwendigen Zeit-

drucks von Bundeskanzlerin Merkel, die Sondierungen

bis Mitte November zu beenden, sorgten schließlich für

Termindruck. Nach dem Scheitern der Sondierungen

kam erstmals dem Bundespräsidenten, der mit seinem

Kandidatenvorschlag den formalen Prozess der Regie-

rungsbildung eröffnet, eine bedeutende Rolle zu. Er ver-

deutlichtete seine Abneigung gegenüber Neuwahlen und

drängte alle Akteure, sich Gesprächen nicht zu verweigern

- zunächst mit Erfolg.

FDP und Grüne hätten ebenfalls als Premiere auf

Bundesebene nach den Sondierungen einen Parteitag

angesetzt, auf dem über die Ergebnisse der Gespräche

entschieden worden wäre. Die Grünen griffen damit

Erfahrungen auf, die sie bei neuen Bündnissen in den

Ländern gemacht haben. Gerade die grünen Parteimit-

glieder fordern Beteiligung ein und sind kritischer gegen-

über ihrer Parteiführung eingestellt.

64

So konnten in

Hamburg 2008 alle Parteimitglieder auf Parteiversamm-

lungen über ein schwarz-grünes Bündnis mitstimmen, im

Saarland wurden 2009 Regionalkonferenzen angesetzt

sowie ein Parteitag, der zwischen den Optionen Rot-Rot-

Grün und Jamaika auswählen sollte.

65

Auf solchen Parteitagen muss das Spitzenpersonal

erkennbare Gewinne vortragen, um eine Zustimmung

zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu erhal-

ten. Entsprechend ist ein Großteil der die Sondierungen

begleitenden Parteikommunikation als Signal an die

eigene Mitgliedschaft zu verstehen.

Schließlich planten FDP und Grüne ein mögliches

Ergebnis der Koalitionsverhandlungen allen ihren Par-

teimitgliedern in einem Mitgliederentscheid vorzule-

gen. Bündnis 90/Die Grünen, die bei ihrer Parteigrün-

dung noch die Basisdemokratie als ein Grundprinzip

festschrieben, haben vor der Bundestagswahl 2013 und

wieder 2017 Urwahlen zur Aufstellung ihrer Spitzenkan-

didaten durchgeführt – beide erzielten hohe Beteiligungs-

64 Vgl. Niko Switek: Bündnis 90/Die Grünen: Zur Entscheidungsmacht grü-

ner Bundesparteitage, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft (Sonderband

2012), S. 121-154.

65 Vgl. Niko Switek: Bündnis 90/Die Grünen. Koalitionsentscheidungen in

den Ländern, Baden-Baden 2015.

raten. Es war allerdings die SPD, die nach der Wahl 2013

erstmals auf Bundesebene einen Mitgliederentscheid über

den Eintritt in eine Große Koalition ansetzte.

66

Da der

ausgehandelte Koalitionsvertrag durchaus sozialdemokra-

tische „Herzensthemen“ beinhaltete und sich die gesamte

Parteispitze für die Große Koalition stark machte, sprach

sich damals die große Mehrheit der Partei für die Regie-

rungsbeteiligung aus. Auf die gleiche Strategie setzt Mar-

tin Schulz auch nach der Wahl 2017. Seine vorsichtige

Öffnung für Gespräche verband er mit der Ansage, eine

mögliche Koalitionsvereinbarung in jedem Fall wieder

die ganzen Partei zur Abstimmung vorzulegen.

Das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen

Die Rahmenbedingungen für eine erste Jamaika-Koa-

lition auf Bundesebene waren alles andere als schlecht.

Die Parteien hatten ein solches Bündnis vor der Wahl

nicht ausgeschlossen und die Sondierungen kamen nicht

als große Überraschung für die Wählerinnen und Wähler

daher. Die FDP fühlte sich durch die gelungene Rück-

kehr in den Bundestag gestärkt, die Grünen deuteten ihr

einige Prozentpunkte über den schwachen Umfragen lie-

gendes Ergebnis als Erfolg. Für alle Akteure galt es natur-

gemäß, ihre programmatischen Ziele sinnvoll in ein Pro-

gramm für eine Regierung zu überführen.

Es zeigte sich aber, dass einige andere Punkte die Son-

dierungen erschwerten und wohl letztlich zum Scheitern

beitrugen: Eine mit ihrem Wahlergebnis unzufriedene

und durch die Konkurrenz der AfD unter Druck gesetzte

Union konnte nur bedingt Zugeständnisse an Liberale

und Grüne machen, zumal auch die beiden kleinen Par-

teien in einigen Bereichen in sehr gegensätzliche Richtun-

gen zogen. Die Liberalen haben die letzte schwarz-gelbe

Bundesregierung in keiner guten Erinnerung – gut mög-

lich, dass ihnen eine Regierungsbeteiligung zu früh kam.

Bei den Grünen hingegen musste die Parteiführung den

Mitgliedern den Sprung über den Lagergraben schmack-

haft machen. Der linke Flügel der Partei, der vor allem

auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit setzt, begleitete die

Gespräche mit wenig Sympathie und kritischen Kom-

mentaren.

Rechnerisch bleibt damit die Option einer Weiterfüh-

rung der Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD

oder die erste Minderheitsregierung auf Bundesebene.

Einige Vertreter der SPD stellten in Aussicht, eine Min-

66 Vgl. Nicolai Dose: Innerparteiliche Demokratie: Der Mitgliederentscheid

bei der SPD, in Gesellschaft – Wirtschaft – Politik 4/2014, S. 519-527.

Wahlnachlese 2017