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Neue Publikationen und Projekte der Landeszentrale
Einsichten und Perspektiven 2 | 17
Themenheft von „Einsichten und Perspektiven“:
Ulrich Baumgärtner:
„Mein Kampf“ in der historisch-
politischen Bildung
Das Themenheft zum Umgang mit
Hitlers Mein Kampf in der histo-
risch-politischen Bildungsarbeit ist
ein Produkt einer jahrelangen, kon-
trovers geführten Diskussion im öf-
fentlichen Raum. Insbesondere in
Bayern hat man sich mit der Frage, wie über 70 Jahre nach
dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft mit
dem schwierigen Erbe dieser Zeit umzugehen sei, inten-
siv auseinandergesetzt, da nach dem Tod Hitlers bzw. dem
Ende des Eher-Verlags das Urheberrecht an Mein Kampf
an den Freistaat übergegangen war. Obwohl andere zent-
rale Quellen zur Geschichte des Nationalsozialismus schon
weit vor dem 1. Januar 2016 in wissenschaftlichen Editio-
nen veröffentlicht waren und auch im schulischen Unter-
richt längst eine Auseinandersetzung mit Mein Kampf an-
hand von Quellenauszügen aus demWerk stattfindet, geriet
die Diskussion über Mein Kampf zu einer Symboldebatte.
Auf der einen Seite stand dabei die Forderung, eine offen-
sive Aufklärung durch eine möglichst große Verbreitung von
Mein Kampf zu erreichen, auf der anderen Seite gab es ernst-
hafte Sorgen, eine – zumal staatlich geförderte – Verbreitung
der Hetzschrift könne ungewollt nationalsozialistischem
Denken wieder Vorschub leisten. Das vorliegende Heft ver-
sucht diesen Polen Rechnung zu tragen: Es will nüchtern
informieren, ohne nationalsozialistischem Gedankengut
eine größere Bühne zu verleihen, es gibt methodische Anre-
gungen, die für Lehrkräfte und außerschulische Multiplika-
toren eine Ergänzung für ihre Arbeit bieten, und es stellt,
soweit auf so knappemRaummöglich, zentrale Standpunkte
der Diskussion über Mein Kampf dar. Das wissenschaftliche
Fundament bildet dabei die im Januar 2016 erschienene,
vom Institut für Zeitgeschichte München – Berlin heraus-
gegebene Kritische Edition von Mein Kampf.
Das Themenheft ist bestellbar unter
bestellen.bayern.de> Politische Bildungsarbeit und steht auch online auf der
Webseite von Einsichten und Perspektiven:
http://www.blz.
bayern.de/blz/eup/eup.aspTHEMENHEFT 1/16
EINSICHTEN
PERSPEKTIVEN
Bayerische Zeitschrift für Politik undGeschichte
Ulrich Baumgärtner
Mein Kampf
in der
historisch-politischen Bildung
DRUCK_LZ_Themenheft_MK.indd 1
23.12.16 12:00
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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16
Hitlers
MeinKampf
– Perspektiven für die historisch-politischeBildungsarbeit
MATERIALIEN
Abbildung:A
dolfHitler:MeinKampf.ZweiBändeineinemBand.UngekürzteAusgabe,133.–134.Auflage,München1935,o.S.
Hitlers
Mein Kampf
Historische Ausgabe
METHODISCHE ANREGUNGEN:
Die Haupttitelseite enthält eine Reihe von Informationen, die einen ersten Zugang zu Hitlers Werk ermöglichen. Die
Markierung, Benennung und Erläuterung der einzelnen Elemente erschließt zentrale Aspekte.
LEITFRAGEN:
Welche einzelnen Elemente enthält die Haupttitelseite (Titel, Autor usw.)?
Welche Rolle wird Hitler durch diese Aufmachung zugewiesen?
Welche Elemente der NS-Ideologie sind auf dieser Doppelseite erkennbar?
Wieso fehlt in der Ecke rechts oben einTeil der Seite?
Getilgter
Besitzvermerk
Entnazifizierung
Autor und Titel
Führermythos
Inhalt
NS-Ideologie
Auflagenzahl:
Herrschaftssymbol
Verlagsangabe
Publikationskontext
Hitlerporträt
Führer-Mythos
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23.12.16 12:00
Hitlers
Mein Kampf
– Perspektiven für die historisch-
Aufbau und Textgattung von
Mein Kampf
Auf den ersten Blick scheint Hitlers Buch eine klare Str
uk-tur zu haben: Der Titel es ersten Bandes „Eine Abrech-
nung“ deutet auf eine persönliche Auseinandersetzung
mit
vergangenen Ereignissen hin, während der mit „Die
nati
onalsozialistische Bewegung“ betitelte zweite Band ein
politisches Programm für die Zukunft verspricht.
Adolf Hitler:
Mein Kampf
– Gliederung
Band I
Band II
1. Im Elternhaus
1. Weltanschauung und Partei
2. Wiener Lehr- und Leidensjahre 2. Der Staat
3. Allgemeine politische Betrach-
tungen aus meiner Wiener Zeit
und Sonstiges
3. Staatsangehöriger und Staats-
bürger
4. München
4. Persönlichkeit und völkischer
Staatsgedanke
5. Der Weltkrieg
5. Weltanschauung und
Organisation
6. Kriegspropaganda
6. Der Kampf der ersten Zeit – Die
Bedeutung der Rede
7. Die Revolution
7. Das Ringen mit der roten Front
8. Beginn meiner politischen
Tätigkeit
8. Der Starke ist am mächtigsten
allein
9. Die „Deutsche Arbeiterpartei“ 9. Grundgedanken über Sinn und
Organisation der S.A.
10. Ursachen des Zusammen-
bruches
10. Der Föderalismus als Maske
11. Volk und Rasse
11. Propaganda und Organisation
12.Die erste Entwicklungszeit
der Nationalsozialistischen
Deutschen Arbeiterpartei
12.Die Gewerkschaftsfrage
13.Deutsche Bündnispolitik nach
dem Kriege
14.Ostorientierung oder Ostpolitik
15.Notwehr als Recht
Allerdings zeigt eine genauere Betrachtung, dass sich auch
im ersten Band Persönliches und Politisches mischen und
etwa das 4. Kapitel „München“ weniger biografisch als
ideologisch angelegt ist. Auch die Abfolge der einzelnen
Kapitel sowie deren innere Struktur lassen keinen strin-
genten Aufbau erkennen. Bei der Lektüre fallen nicht nur
auf,39
sondern auchdie Breite der
spiegelt sich der Anspruch Hitlers w
Erkläru gsm ster für alle Erscheinu
zu können.Insgesamt stellt Hitlers
Mein Ka
tiges Werk dar: Es vereint viele Face
es auch schwer einer Gattung zuzuo
einen Autobiografie, da sich hier viel
ansonsten schlecht dokumentierte
Hitlers finden. Neil Gregor bezeic
als Bildungsroman, da Hitler aus
vollen Weg der Herausbildung sei
schildert.
40
Es ist aber auch ein Ge
sich doch weitschweifige Erklärun
Entwicklungen verschiedenster Art
gungsgesetze der Geschichte. Es ist
politische Programmschrift, in der d
den der nationalsozialistischen Bewe
ungeschminkt beschrieben werden.
oft darüber hinaus, wenn er im Wor
die Welt schreibt – um nicht zu s
Ein Blick in das ursprüngliche Regi
Sachverzeichnis der Edition zeigt di
von Adoption bis Zwangssterilisatio
terschaft, von Genie bis zu Geschle
Mein Kampf
autobiografische Elem
keine Autobiografie; enthält es politi
ist es doch kein Parteiprogramm; b
Ereignisse, so ist es doch kein Gesc
Pyta bezeichnet
Mein Kampf
daher
literatur, in der eine individuelle Wel
wird. Um die vermeintliche Allgem
subjektiven Aussagen zu beglaubi
ler demnach auf die Genievorstellu
außergewöhnliches Individuum prä
zu höheren (oder tieferen) Wahrheit
Rolle gehört auch die Stilisierung z
verkannte Genie wird zuerst abgeleh
tigkeit seiner Weltsicht schließlich
Dieses Sendungsbewusstsein ist der
Gedankens und äußert sich im Gest
wie er immer wieder in
Mein Kampf
39 Hartmann u.a. (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 14.
40 Neil Gregor: „Mein Kampf“ lesen, 70 Jahre sp
Das Themenheft enthält Zusatzmaterial mit didaktisch-methodischen Anregungen und Übersichten, die im Unterricht gut verwendbar sind.