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Bunte Koalitionsrepublik Deutschland

Einsichten und Perspektiven 2 | 17

Umgekehrt ergibt sich aus diesem Zusammenhang der

mögliche Effekt, dass Parteien im Bund bei ihren koaliti-

onsstrategischen Überlegungen die Mehrheitsverhältnisse

im Bundesrat mit einbeziehen. Je mehr Stimmen eine

bestimmte Konstellation dort aufweist, umso handlungs-

stärker ist diese potentiell als Bundesregierung. Der Blick

auf die aktuelle Zusammensetzung zeigt, dass die amtie-

rende Große Koalition zurzeit nur auf 16 mehr oder weniger

sichere Stimmen zählen kann. Eventuell kann hier noch die

ungewöhnliche Konstellation einer um die Grünen erwei-

terten Großen Koalition in Sachsen-Anhalt mit ihren vier

Stimmen hinzugerechnet werden. Doch auch dann bleibt

man weit von den nötigen 35 Stimmen entfernt. Die Bun-

desregierung muss in dieser Situation (Stand: Juli 2017) bei

zustimmungspflichtigen Gesetzen jetzt schon verstärkt um

Unterstützung für ihre Gesetzesvorhaben werben.

Stimmen der Koalitionsvarianten im Bundesrat

Partei

Stimmen

CDU/CSU und SPD

16

SPD, FDP und Grüne

16

CDU/CSU, FDP und Grüne

27

SPD, Grüne und Linkspartei

24

Quelle: Eigene Berechnung

Darüber hinaus zeigt die Zusammensetzung, dass sich die

FDP erkennbar noch nicht von dem Tiefschlag des ver-

passten Wiedereinzugs in den Bundestag 2013 erholt hat.

Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik verfügte die

FDP nicht über eine Fraktion im Bundestag; die Folge

war ein tiefgreifender und umfassender Wandel der Partei.

Fast alle prominenten Akteure aus Zeit der schwarz-gelben

Bundesregierung zogen sich zurück, Christian Lindner

wurde der neue Hoffnungsträger der Partei. Er trieb eine

programmatische Erneuerung voran und verpasste der Par-

tei insgesamt ein neues Erscheinungsbild. Als erstes Zei-

chen, dass die existenzbedrohende Phase überstanden war,

lässt sich der Eintritt in das Ampel-Bündnis in Rheinland-

Pfalz sehen. Schließlich gingen im Mai 2017 die Landtags-

wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen

überaus positiv für die FDP aus, in beiden Ländern ist man

nun auch wieder an der Regierung beteiligt.

Betrachtet man die Mehrheitsverhältnisse im Bundes-

rat vor dem Hintergrund möglicher Dreierbündnisse, so

fällt ein Bündnis aus SPD, FDP und Grünen ähnlich klein

aus wie die Große Koalition: Mit den drei rot-grünen Lan-

desregierungen und der Ampel-Koalition in Rheinland-

Pfalz kommt man auf 16 Stimmen. Deutlich besser steht

es inzwischen um eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP

und Grünen. Der Ausgang der Landtagswahlen in Schles-

wig-Holstein und Nordrhein-Westfalen hat dieser Konstel-

lation zehn Stimmen beschert, damit ist man nur noch acht

Stimmen von einer Bundesratsmehrheit entfernt. Knapp

dahinter liegt die Variante einer rot-rot-grünen Zusam-

menarbeit: Hier kommt man auf 24 Stimmen, elf Stim-

men fehlen zu einer absoluten Mehrheit. Allerdings erzielt

gerade ein solches Regierungsbündnis in Umfragen meist

die niedrigsten Zustimmungswerte bei den Wählern.

Die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat entscheiden

nicht alleine über die Koalitionsbildung, aber sie bilden

ein oft übersehenes, wichtiges Puzzleteil.

Ausblick auf die Bundestagswahl im Herbst

Es ist zu erwarten, dass die steigende Fragmentierung der

Parteiensysteme in den Ländern, die zu der bereits geschil-

derten bunten Koalitionsrepublik führte, im Herbst 2017

auch Auswirkungen auf die Bundesebene haben wird.

Zwar ist ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde für die

kleinen Parteien nie völlig auszuschließen, aber ein ver-

passter Wiedereinzug von Linkspartei und Grünen wäre

eine große Überraschung. Auch für die Freien Demo-

kraten ist nach den Erfolgen in Schleswig-Holstein und

Nordrhein-Westfalen die Wahrscheinlichkeit für eine

Rückkehr in den Bundestag gestiegen.

Interessant wird, ob der AfD der Einzug ins Parla-

ment gelingt. Sie landete bei der Bundestagswahl 2013

mit 4,7 Prozent denkbar knapp unter der Sperrklausel. In

Umfragen schwankte die AfD allerdings nach der Bundes-

tagswahl 2013 häufig um die fünf Prozent, nach einem

parteiinternen Machtkampf um die Ausrichtung der Partei

und dem Austritt von Parteigründer Bernd Lucke im Juli

2015 sahen schon viele Beobachter das Ende gekommen.

Lucke war das Gesicht der Partei und stand für den wirt-

schaftsliberalen und euro-skeptischen Flügel. Mit ihm verlie-

ßen viele ähnlich gesinnte Mitglieder die Partei; in der Folge

sackte die AfD in Umfragen ab. Allerdings erholte sich die

Partei wieder, was vor allem der medialen Dominanz der

Flüchtlingspolitik in den Jahren 2015 und 2016 geschuldet

war.

21

Sie fand ihr neues Hauptthema in Forderungen nach

einer strikten Begrenzung von Zuwanderung und verknüpfte

21 Vgl. Robin Alexander: Die Getriebenen. Merkel und die Flüchtlingspolitik.

Report aus dem Inneren der Macht, München 2017.