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Bunte Koalitionsrepublik Deutschland

Einsichten und Perspektiven 2 | 17

Doch wie steht es um die inhaltliche Nähe und Distanz

der Parteien? Bis auf die Union legten alle imMai und Juni

2017 ihre Wahlprogramme vor und verabschiedeten diese

auf Parteitagen. Bei der CDU war Kanzleramtsminister

Peter Altmaier federführend bei der Programmerstellung.

CDU und CSU haben sich auf ein gemeinsames Pro-

gramm verständigt, das Anfang Juli gemeinsam präsentiert

wurde. Es betont die Kontinuität der Regierungsarbeit und

stellt Steuererleichterungen in Aussicht. Auf den meisten

Politikfeldern herrscht zwischen den Schwesterparteien

Einigkeit; Divergenzen bestehen hingegen im Bereich der

Flüchtlings- und Integrationspolitik (z.B. in der Frage

einer Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen). Die

CSU hat Mitte Juli den sog. „Bayernplan“ vorgelegt, ein

eigenes Wahlprogramm für die Bundestagswahl.

Die SPD hat diesmal erkennbar versucht, Divergenzen

zwischen Programm und ihrem Spitzenkandidaten Schulz

zu vermeiden (2013 war man mit einem linken Programm

und einem mittigen Kandidaten Steinbrück angetreten).

Der Fokus liegt eindeutig bei Fragen sozialer Gerechtig-

keit, so dass man sich in Richtung mehr staatlicher Inter-

vention und Steuerung bewegt (z.B. Erhöhung des Spit-

zensteuersatzes). Symbolträchtig sind die Vorschläge zu

Korrekturen an der von Gerhard Schröder verantworteten

Agenda-2010-Politik (z.B. das ALG-Q), mit dem verloren

gegangene Anhänger zurückgewonnen werden sollen. In

der Zuwanderungsdebatte setzt man auf „geordnete Mig-

rationspolitik“, wozu neben mehr Integrationsbemühun-

gen auch eine konsequentere Rückführung zählt.

Während sich in der sozioökonomischen Dimension

viele Ähnlichkeiten mit dem Programm der Grünen

finden, fokussieren sich diese jedoch in ihrem Wahlpro-

gramm 2017 vor allem ihren Markenkern im Bereich

Ökologie und Umweltschutz. Der Tatsache, dass die

anderen Parteien inzwischen diese Themen aufgegriffen

haben, versucht man zu begegnen, in dem man einer-

seits darauf pocht das Original zu sein, und andererseits

ambitioniertere Ziele formuliert (z.B. sofortige Abschal-

tung schmutzigster Kohlekraftwerke, Ausstieg aus Ver-

brennungsmotoren). Zugleich betont man offensiv den

Einsatz für Vielfalt, Multikulturalismus und eine offene

Gesellschaft – gewissermaßen als Gegenpol zur AfD.

Ähnlich stellt sich die Linkspartei in ihrem Programm

auf, wobei sie in sozialstaatlichen Fragen deutlich wei-

tergeht als SPD und Grüne. So fordert sie beispielsweise

Steuerhöhungen, einen Mindestlohn von zwölf Euro, eine

Mindestrente von 1.050 Euro sowie die Abschaffung von

Hartz IV. Verhandlungen wären hier schwierig, aber noch

größere Gräben existieren in der Außen- und Sicherheits-

politik. Anders als Rot-Grün stellt sich die Linke in Teilen

durchaus EU-skeptisch auf, sie lehnt die NATO ab und

positioniert sich weniger kritisch gegenüber Russland als

ihre Mitbewerber.

Trotz der programmatischen Reformen scheint sich die

Position der FDP im Parteiensystem nicht grundsätzlich

gewandelt zu haben. Nähe und Distanz zu den anderen

Parteien hängen bei den Liberalen von der betrachteten

Konfliktdimension ab. In der sozioökonomischen Dimen-

sion liegt man näher an den Unionsparteien: Die FDP

will keine Steuererhöhungen und spricht sich für Haus-

haltsdisziplin aus. Eine Reform des Gesundheitssystems

wird abgelehnt. In der soziokulturellen Dimension hin-

gegen befindet man sich näher an SPD und Grünen: Die

FDP fordert ein modernes Einwanderungsgesetz und setzt

sich für die Öffnung der Ehe ein.

Der kursorische Überblick verdeutlicht, dass eine Regie-

rungsbeteiligung der Linken weiter schwierig bleibt. Bei

FDP und Grünen sind hingegen einige Verbindungslinien

erkennbar (vor allem in gesellschaftspolitischen Fragen),

die ja auch zumindest auf Länderebene eine Ampel in

Rheinland-Pfalz und eine Jamaika-Koalition in Schleswig-

Holstein ermöglicht haben. Interessant wird dabei, wie vor

dem Hintergrund der Bundespolitik eher eine Nähe zu

CDU/CSU oder zur SPD hergestellt werden kann.

Nicht zu unterschätzen ist ein AfD-Effekt: Durch das

Aufkommen einer neuen Außenseiterposition rücken

die etablierten Parteien näher zusammen. Ein treffendes

Beispiel ist Sachsen-Anhalt, wo die Grünen ohne großes

Lamentieren erstmals überhaupt als Juniorpartner in eine

Große Koalition eingetreten sind. Die wahrgenommenen

Distanzen schrumpfen.

Eine besondere Rolle kommt den Koalitionssignalen

zu, die häufig Bestandteil der Programme sind.

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Einer-

seits zeigen sie nach außen dem Wähler, welche Regie-

rungsbündnisse eine Partei eingehen will, andererseits

wirken sie nach innen mobilisierend auf die Parteimit-

glieder. Häufig werden diese in der heißen Phase des

Wahlkampfs oder unter dem Eindruck von Umfragen

verändert und erweitert – durch Parteitage, Vorstandsbe-

schlüsse oder Festlegungen der Spitzenkandidaten. Die

Parteien sehen sich dabei mit einem Dilemma konfron-

tiert: Die Verhandlungsposition nach der Wahl fällt am

stärksten aus, wenn alle Optionen offen gehalten wer-

den. Zugleich zieht eine solche Haltung Vorwürfe der

Beliebigkeit nach sich. Die Parteien finden sich in ihren

26 Volker Best: Koalitionssignale bei Landtagswahlen, Baden-Baden 2015.