45
Der Bundestrainer aus Dresden. Helmut Schön als Figur deutscher Zeitgeschichte
Einsichten und Perspektiven 2 | 17
Der Autor Bernd-M. Beyer, Jahrgang 1950, Journalist und im klassischen
Fußball-Verlag „Die Werkstatt“ mit dem Metier der Fußball-Geschichte befasst,
hat sich mit Helmut Schön eine Menge Arbeit gemacht. Der Fußball-Liebhaber
kann nach der Biografie dieses zweiten Bundestrainers durchaus befriedigt
sein. Der Historiker, der es immer gerne noch etwas genauer wüsste und der
vor allem gern sähe, von wo ein Zitat entnommen und wie ein Faktum belegt
ist, wird allerdings nicht wirklich zufrieden gestellt. Der Autor hat viel Literatur
gewälzt, er war in den Archiven, er hat die Familie Schön ersichtlich „abge-
schöpft“ –, aber den Reflex der ganzen Materialfülle, die hier zusammenge-
kommen sein muss, läse man doch auch gerne einigermaßen penibel belegt.
Denn: Das Sujet Helmut Schön lohnt durchaus die pro-
funde, zeitgeschichtliche Investition. Helmut Schön war
noch mehr als eine klassisch gesamtdeutsche Figur, die,
wie so viele andere in den Anfängen des Kalten Krieges
von Ost- nach Westdeutschland wechselte. Er gelangte
darüber hinaus in den äußersten deutschen Westen, als
Verbandstrainer des Saarländischen Fußballbundes von
1952 bis 1956. Das waren die letzten Jahre, in denen das
Saarland nicht Bestandteil der alten Bundesrepublik war,
bis am 1. Januar 1957 seine „kleine Wiedervereinigung“
mit der Bonner Republik vollzogen wurde. Dass und wie
Fußball politisch ist, zeigt schon neben der gesamtdeut-
schen Problematik auf der Makroebene diese Saar-Episode:
Große Teile des saarländischen Fußballs unter seinem seit
1950 amtierenden Präsidenten Hermann Neuberger, der
Schön als Verbandstrainer nach Saarbrücken geholt hatte,
standen in Opposition gegen das Regime des Minister-
präsidenten Johannes Hoffmann
1
und betrieben schon
mit dem Vehikel Fußball bereits in den frühen fünfziger
Jahren die (Wieder-)Annäherung an die Bundesrepublik:
Bereits 1949 hatten die Delegierten des Saarländischen
Fußballverbandes es gegen die Intentionen der Regierung
Hoffmann abgelehnt, sich dem französischen Fußballver-
band anzuschließen. Während das Saarland ostentativ bei
der Olympiade 1952 in Helsinki mit einer eigenen Mann-
schaft antrat, erfolgte schon fast gleichzeitig die zumindest
teilweise Wiederintegration des saarländischen Fußballs
1 Vgl. die Hoffmann-apologetische Biografie Heinrich Küppers: Johannes
Hoffmann (1890–1967). Biographie eines Deutschen, Düsseldorf 2008.
Hermann Neuberger, avancierte viel später zum DFB-Präsidenten, 1975–
1992, so dass er auch die zweite Fußball-Wiedervereinigung, mit dem
DDR-Fußball, vollzog.
in den (bundes-)deutschen: Nachdem der 1. FC Saarbrü-
cken als Meister der zweiten französischen Liga nicht in
die erste französische Liga hatte aufsteigen dürfen, kehrten
die Saarkicker schon vor den Politikern quasi „Heim ins
Reich“, und ihre Spitzenvereine spielten in der Oberliga
Süd-West. Mehr noch: In der Endrunde um die Deutsche
Fußballmeisterschaft 1952, im Anstellungsjahr Helmut
Schöns als Verbandstrainer in Saarbrücken, gelangte der
1. FC Saarbrücken ins Endspiel um die deutsche Meister-
schaft gegen den VfB Stuttgart im Ludwigshafener Süd-
West-Stadion, wo er allerdings mit 3 : 2 unterlag.
2
Helmut Schöns eigentliche Pointe mit der von ihm trai-
nierten Saar-Auswahl war, dass sie in der Qualifikation zur
Fußball-Weltmeisterschaft 1954 – dem späteren „Wunder
von Bern“ – auf die (west-)deutsche Auswahl stieß und
ihr zweimal unterlag, am 11. Oktober 1953 mit 0 : 3 in
Stuttgart, am 28. März 1954 in Saarbrücken nach hartem
Kampf mit 1: 3. Am Tag nach dem Endspiel von Bern,
nach dem (west-)deutschen 3 : 2-Erfolg gegen Ungarn,
besuchte Helmut Schön – der Saar-Trainer hatte das
Schauspiel auf der Tribüne des Berner Wankdorf-Stadions
genossen – seinen früheren Reichstrainer und künftigen
2 Vgl. Hardy Grüne: 100 Jahre Deutsche Meisterschaft. Die Geschichte des
Fußballs in Deutschland, Göttingen 2003, S. 297: „Beim DFB sorgte das
Ergebnis für Erleichterung. Immerhin gehörte das Saarland politisch gar
nicht zur Bundesrepublik, und ein „Deutscher Meister“ 1. FC Saarbrücken
hätte durchaus zu diplomatischen Komplikationen führen können.“ Zur
gesamtdeutschen Orientierung des Saarfußballs u.a. die Darstellung des
stark nationalistischen, gegen das Hoffmann-Regime gerichteten Politi-
kers Heinrich Schneider: Das Wunder an der Saar. Ein Erfolg politischer
Gemeinsamkeit, Stuttgart-Degerloch 1974, S. 316, zum Endspiel von
Ludwigshafen: „… auch ohne den Titel des ‚Deutschen Meisters‘ war das
Eis gebrochen und die natürliche, alte Ausrichtung auch auf sportlichem
Gebiete wiederhergestellt.“