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Der Bundestrainer aus Dresden. Helmut Schön als Figur deutscher Zeitgeschichte
Einsichten und Perspektiven 2 | 17
die westdeutsche Auswahl von Glück sagen, dass sie verlor:
Sie wurde aus einer gewissen Lethargie für den weiteren
Verlauf des Turniers wachgerüttelt und kräftig umgebaut,
und sie gelangte nun für das weitere Fortkommen in die
leichtere Gruppe, während die DDR es, ganz aussichtslos,
mit Brasilien, den Niederlanden und Argentinien zu tun
bekam.
Sicher: Die Niederlage gegen die DDR war für Hel-
mut Schön ein Schock: „Gerade die eigene biografische
Verbindung mit der DDR machte Schön zu schaffen. Er
war sich sicher, dass viele Fußballfans in der DDR nicht
der eigenen Mannschaft, sondern der DFB-Elf den Sieg
(und den Weltmeistertitel) gönnten. […] Helmut Schön
fühlte sich tatsächlich von den eigenen Spielern im Stich
gelassen.“ (Beyer, S. 365). Gleichwohl: Helmut Schöns
Gesamtbilanz als Bundestrainer war exzellent: Er war der
bisher erfolgreichste deutsche Trainer der Nationalmann-
schaft (Weltmeister 1974, 2. bei der Weltmeisterschaft
1966, 3. bei der Weltmeisterschaft 1970, Europameister
1972) und gewiss auch nicht das Weichei, als das er gerne
apostrophiert wurde, nicht zuletzt als Folge mancher Pole-
mik seines Vorgängers Sepp Herberger. Und wie Bernd-
M. Beyer überzeugend zeigt, ging Helmut Schön nicht
niedergeschlagen und ratlos mit der Niederlage gegen die
DDR um, sondern gefasst, strategisch konstruktiv und im
kommunikativen Stil auf der Höhe der Zeit. Er schmollte
nicht in der Ecke, wie lange kolportiert wurde, sondern er
betrieb mit den führenden Köpfen der Mannschaft Ursa-
chenanalyse und gestaltete Innovation.
Zwischen dem Reichs- und Bundestrainer Sepp Her-
berger, dem der eine historische Moment des Wunders
von Bern vom 4. Juli 1954 gelang – und an dem eigentlich
sein ganzer Nimbus hängt – auf der einen Seite und dem
überbordenden Medienspektakel Fußball unserer Tage
auf der anderen Seite ist der noble Mann mit der Mütze
Helmut Schön ziemlich in Vergessenheit geraten. Das ist
schade. Schön war kein Held, aber er war eine gesamt-
deutsche Persönlichkeit. Alles in allem wird ihm Bernd-
M. Beyer durchaus gerecht.
Schön übergibt das Bundestraineramt an seinen Nachfolger Jupp Derwall, links Uwe Seeler, Frankfurt, 15. November 1978.
Foto: ullstein bild/Horstmüller