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Toni Pfülf (1877–1933)
Einsichten und Perspektiven 2 | 17
Gleichberechtigung“.
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Die Westmächte, die wegen der
Militärverbände SA und SS Sanktionen gemäß Versailler
Vertrag gegen das Deutsche Reich in Betracht ziehen, sol-
len damit beschwichtigt werden. Hitler führt in seiner Rede
im Parlament aus, dass der „wirkliche Zweck dieser natio
nalen Organisationen“ die Terrorabwehr wäre. Allein die
SS und SA hätten durch „kommunistische Mordüberfälle,
Attentate und Terrorakte in wenigen Jahren über 350 Tote
und gegen 40.000 Verletzte zu beklagen“.
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Er beteuert, es
wäre „der tiefernste Wunsch der nationalen Regierung des
Deutschen Reiches“, neue Kriege und eine unfriedliche
Entwicklung in Europa „durch ihre aufrichtige und tätige
Mitarbeit zu verhindern“.
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Des Weiteren behauptet Hitler,
„Deutschland wäre auch ohne weiteres bereit, seine gesamte
militärische Einrichtung überhaupt aufzulösen und den
kleinen Rest der ihm verbliebenen Waffen zu zerstören,
wenn die anliegenden Nationen ebenso restlos das gleiche
tun.“
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Die Forderung nach dieser „Gleichberechtigung“
wäre, so Hitler, „eine Forderung der Moral, des Rechtes
und der Vernunft, eine Forderung, die im Friedensvertrage
selbst anerkannt und deren Erfüllung unlöslich verbunden
wurde mit der Forderung der deutschen Abrüstung als Auf-
takt zur Weltabrüstung.“
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Abschließend verliest Reichs-
tagspräsident Göring den Entschließungsantrag folgenden
Wortlauts: „Der Deutsche Reichstag als die Vertretung des
deutschen Volkes billigt die Erklärung der Reichsregierung
und stellt sich in dieser für das Leben der Nation entschei-
denden Schicksalsfrage der Gleichberechtigung des deut-
schen Volkes geschlossen hinter die Reichsregierung.“
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Toni Pfülfs Fraktionskollege Josef Felder aus Augsburg
urteilt später: „Die Rede Hitlers war äußerst gemäßigt
und wir konnten nur staunen über das grenzenlose Aus-
maß der Verlogenheit, die er dem Westen servierte.“
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Gleichwohl wird die Entschließung im Reichstag mit den
Stimmen der SPD angenommen. Die Fraktion besteht
zu dieser Zeit nur noch aus 65 Abgeordneten. Gemäß
einer Weisung des Exilvorstands hätten sie der Sitzung
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Protokoll der 3. Reichstagssitzung vom 17.5.1933, S. 51–58, s. http://
www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w8_bsb00000141_00051.html bis http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w8_bsb00000141_00058.
html [Stand 01.05.2017] hier S. 58.30 Protokoll (wie Anm. 29), S. 51.
31 Ebd., S. 49.
32 Ebd., S. 52.
33 Ebd., S. 50.
34 Ebd., S. 58.
35 Josef Felder: Warum ich NEIN sagte. Erinnerungen an ein langes Leben für
die Politik, Zürich/München
3
2000, S. 144.
geschlossen fernbleiben und dies in der Öffentlichkeit mit
den Misshandlungen von SPD-Anhängern in den Kon-
zentrationslagern begründen sollen. Toni Pfülf unterstützt
dies vehement. Der Pazifistin, die sich 30 Jahre lang für
Gleichberechtigung eingesetzt hat, erscheint es unerträg-
lich, diesen Wertbegriff nun in den Kontext nationalsozia-
listischer Rechtfertigung militärischer Aufrüstung gestellt
zu sehen. „Sie setzte sich mit großer Leidenschaft für die
sofortige Abreise ein“, erinnert sich Felder.
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Es ist für sie unfassbar, dass der Fraktionsvorsitzende Paul
Löbe und ihm folgend zahlreiche andere Abgeordnete dazu
neigen, an der Sitzung teilzunehmen und sich für Hitlers
Zwecke einspannen zu lassen. Ausschlaggebend für diese
nachgiebige Haltung ist die Drohung, die der nationalsozia
listische Innenminister Frick im Ältestenrat ausgesprochen
hatte. Fraktionsmitglied Wilhelm Hoegners übersetzt diese
Drohung ins Unmissverständliche: Bei Nichtzustimmung
„würden die Anhänger der Sozialdemokratie innerhalb und
außerhalb der Konzentrationslager als ‚Landesverräter‘ für
vogelfrei erklärt und abgeschlachtet“.
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Bei der Entscheidung über das Abstimmungsverhalten
sprechen sich schließlich 48 Abgeordnete dafür aus, an der
Sitzung teilzunehmen und der Resolution zuzustimmen,
17 stimmen dagegen. Die Unterlegenen ordnen sich dem
Mehrheitsvotum unter – nicht so Toni Pfülf. Sie boykot-
tiert die Reichstagssitzung. Anscheinend ist sie nicht die
einzige; Hoegners späterer Erinnerung zufolge sind einige
Abgeordnete der Sitzung ferngeblieben.
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Eine Teilneh-
merliste von der Reichstagssitzung existiert offenbar nicht.
Sicher aber ist: Von den Anwesenden wird Hitlers Resolu-
tion einstimmig verabschiedet.
36 Felder (wie Anm. 33), S. 140.
37 Wilhelm Hoegner: Flucht vor Hitler. Erinnerungen an die Kapitulation der
ersten deutschen Republik 1933, Frankfurt a.M. 1979, S. 149. Hoegner
charakterisiert Toni Pfülf in dieser Situation aus einer durch und durch
männlichen Sichtweise und greift zurück auf das Beschreibungsmuster
von einer geistig unselbständigen, hysterischen und bemitleidenswerten
Frau. Sie habe sich in der Fraktionssitzung „ganz von Sinnen gebärdet“, sei
von „Nervenkrämpfen geschüttelt.“ Sie habe Paul Löbe als ihren „geistigen
Führer verehrt“, sein Plädoyer für eine Zustimmung der SPD habe sie in
eine tiefe Verzweiflung gestürzt. Die Anwesenden hätte „tiefes Mitgefühl“
mit ihr empfunden (S. 150 f.) Um sich das Leben zu nehmen, habe sie
„Gift“ genommen (S. 156.) Vergiftet ist auf jeden Fall das Lob, das Hoeg-
ner der Person Toni Pfülf zollt. Die „Tochter eines deutschen Generals […]
war als schwächliches Mädchen in der Familie zurückgesetzt, darum wohl
‚aus der Art geschlagen‘, Volksschullehrerin und dann Frauenrechtlerin,
im Kriege Pazifistin, zuletzt Sozialistin geworden. Eine Lungenkrankheit
bekämpfte sie mit zäher Energie. Äußerlich stellte sie einen fast männli-
chen Typ dar, wenn sie es gelegentlich auch nicht an weiblicher Schläue
fehlen ließ. Sie gehörte zu den wenigen geistig bedeutenden Frauen in der
Nationalversammlung und im Reichstag.“ (S. 36)
38 Hoegner (wie Anm. 37), S. 152.