Table of Contents Table of Contents
Previous Page  40 / 76 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 40 / 76 Next Page
Page Background

40

Toni Pfülf (1877–1933)

Einsichten und Perspektiven 2 | 17

Anträge von Kommunisten und Nationalsozialisten auf

Freilassung aller politischen Gefangenen beziehungsweise

auf Straffreiheit für politische Straftaten. Sie streitet für

die Zulassung von Frauen zu Schöffen- und Geschwo-

renenamt, fordert, den Gedanken der Völkerversöhnung

in den Schulunterricht zu verankern, prangert an, dass

ein Lehrer einer bayerischen Schule suspendiert wurde,

weil er die Republik hochgehalten und gegen die Mon-

archie gesprochen hat, und plädiert nicht zuletzt dafür,

dass Kulturpolitik einen höheren Etat erhalten soll, weil

die Kultur von grundlegender Bedeutung für die Zukunft

eines Volkes sei.

Früh schon warnt sie vor den Nationalsozialisten und

drohender Kriegsgefahr durch Hitler. In Weimar besucht

sie 1925 eine Versammlung von Julius Streicher und

schreckt auch hier nicht davor zurück, das Wort zu ergrei-

fen. Der „Stürmer“ nimmt sie daraufhin ins Visier und

zitiert Streicher, der ihr entgegnet: „Fräulein Pülf, wissen

Sie was man in Bayern droben zu einer Dame, wie Sie eine

sind, sagen würde? Dort würde man sagen: ‚A so a Weibs-

bild, schämt sich net, mit einem Bubikopf ans Rednerpult

zu kommen. Gehn’s heim, nehmen’s an Schrubber und an

Putzlumpen in d’ Hand und überlassen S’ das Politisie-

ren den Mannsleuten!‘“ 

25

Persönliche Herabwürdigungen

sind das Mittel der Wahl, sachlich-argumentativen Aus­

einandersetzungen auszuweichen.

Entscheidende Abstimmungen:

Ermächtigungsgesetz und Resolution zur militärischen

Gleichberechtigung

Nach Hitlers Ernennung zumReichskanzler am 30. Januar

1933 und der darauffolgenden Auflösung des Reichstages

tritt Toni Pfülf im Vorfeld der Neuwahl am 5. März als

Rednerin bei verschiedenen Versammlungen in ihrem

Wahlkreis auf und wendet sich scharf gegen die NSDAP;

so etwa auf einer Kundgebung der Eisernen Front in Wei-

den oder in Regensburg auf einer SPD-Veranstaltung zum

Thema „Demaskierung der NSDAP“.

26

Nach der Reichs-

tagwahl – die den Nationalsozialisten nicht die sicher

geglaubte absolute Mehrheit bringt – kommt sie wegen

Aufforderung der Arbeiterschaft zum Widerstand gegen

das NS-Regime vorübergehend in Haft.

27

25 Zit. nach Schröder (wie Anm. 3), S. 10.

26 Christian Eckl: Vor 80 Jahren: Wie die Nazis die Macht in Regensburg

„ergriffen“, vgl. http://www.wochenblatt.de/nachrichten/regensburg/

r

egionales/Vor-80-Jahren-Wie-die-Nazis-die-Macht-in-Regensburg- ergriffen;art1172,160002 [Stand: 01.05.2017].

27 Antje Dertinger (wie Anm. 4) S. 155.

Auf der ersten Sitzung des neu gewählten Reichstages am

23. März erfolgt die Abstimmung über das „Gesetz zur

Behebung der Not von Volk und Reich“ (sog. „Ermächti-

gungsgesetz“), das der Reichsregierung uneingeschränkte

Macht einräumt, die Selbstentmachtung des Parlaments

bedeutet sowie das Ende des Rechtsstaates besiegelt. Die

SPD-Fraktion diskutiert zuvor eingehend, erwägt, der

Abstimmung fernzubleiben, entscheidet dann aber, dass

alle verpflichtet seien, zu erscheinen und an der Nein-

Abstimmung teilzunehmen. Die SPD-Fraktion hat 120

Mandate, doch 26 Abgeordnete sind zu diesem Zeitpunkt

bereits verhaftet oder wegen ihrer jüdischen Abstammung

emigriert. Mit Zustimmung aller anderen Parteien und

insgesamt 444 Ja-Stimmen wird das Gesetz im Reichstag

verabschiedet. Die 94 anwesenden SPD-Abgeordneten

jedoch stimmen geschlossen gegen das Gesetz, unter ihnen

Toni Pfülf. Vergeblich hofft sie, die Partei werde sich nun

schnell zum Aufbau einer illegalen Arbeit entschließen.

„Pfülf hatte sich schon zu dieser Zeit dem Parteivorstand

für Kurierdienste zur Verfügung gestellt und den Provinz-

sekretären Anweisungen für den Fall eines Parteiverbotes

durch das NS-Regime überbracht.“ 

28

Ein paar Wochen später, am 17. Mai 1933, beruft Hit-

ler plötzlich wieder den Reichstag ein. Einziger Tagesord-

nungspunkt ist eine Entschließung zur „Schicksalsfrage der

28 Werner Keil: Erlebnisse eines Sozialdemokraten. Bd. II Stuttgart 1948,

S. 168, zit. nach Heide-Marie Lauterer: Parlamentarierinnen in Deutsch-

land 1918/19–1949, Königstein/Taunus 2002, S. 249.

Reichstagssitzung in der Berliner Kroll-Oper am 23. März 1933, Blick ins Plenum

Foto: sz-photo/Scherl