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Das britische EU-Referendum

Einsichten und Perspektiven 2 | 16

In seiner ersten Amtszeit suchte Blair den Schulterschluss

mit Deutschland und Frankreich, um gemeinsam zentrale

Politikbereiche der EU voranzutreiben. Mit dem deutschen

Bundeskanzler Schröder verfasste Blair ein gemeinsames

Strategiepapier für die Modernisierung des europäischen

Sozialmodells auf der Basis des von New Labour propagier-

ten „Dritten Weges“ zwischen traditionellem sozialdemo-

kratischem Keynesianismus und Thatchers Marktfunda-

mentalismus in der Wirtschaftspolitik. 

25

Der „Dritte Weg”

akzeptierte einerseits die Notwendigkeit, wirtschaftsfreund-

liche Rahmenbedingungen durch die Begrenzung unnöti-

ger staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft zu schaffen. Ande-

rerseits lehnte er den neoliberalen Marktfundamentalismus

der 1980er Jahre ab und betonte die Notwendigkeit staatli-

cher Aktivitäten im Hinblick auf die Investition in Bildung

und Ausbildung im Rahmen aktivierender Arbeitsmarkt-

programme. Auf der Grundlage solider Wachstumsraten

und einer deutlichen Reduzierung der Arbeitslosigkeit

unter seiner Regierung in Großbritannien wurde Blair mit

Unterstützung des deutschen Bundeskanzlers Schröder die

treibende Kraft bei der Entwicklung der Lissabon-Strategie,

die von der EU im Jahr 2000 zur Grundlage der Reform des

europäischen Sozialmodells gemacht wurde. Lissabon bein-

haltete die zentralen Elemente des „Dritten Weges“, vor

allem in der Forderung nach der Reform nationaler Sozi-

alstaatsstrategien in Richtung aktivierender Arbeitsmarkt-

politik durch Investitionen in Bildung und Kürzungen der

staatlichen Unterstützungen für nicht aktive Arbeitslose. 

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Blair und Schröder übernahmen gemeinsam auch eine

führende Rolle in der Vorbereitung der EU-Osterweiterung,

die im Mai 2004 acht osteuropäische Staaten (plus Malta

und Zypern) in die EU brachte. Gemeinsam mit dem fran-

zösischen Präsidenten Chirac arbeitete der Premierminister

Ende der 1990er Jahre an der Entwicklung der gemeinsa-

men EU-Sicherheitspolitik in der Folge der Kosovo-Krise

im Frühsommer 1999, durch die die fehlende militärische

Krisenbewältigungskapazität der EU offensichtlich wurde.

Blair, Schröder und Chirac hatten gemeinsam Luftschläge

der NATO gegen Serbien unterstützt, um den vom serbi-

schen Präsidenten Milosevic begonnenen Völkermord an

der albanischen Minderheit in der Provinz Kosovo zu stop-

pen. Es war jedoch vor allem Blair, der die EU ermahnte,

25 Gerhard Schröder und Tony Blair: Der Weg nach vorne für Europas Sozialde- mokraten, 08.06.1999, http://www.albanknecht.de/materialien/Schroeder- Blair-Paper.pdf [Stand: 12.06.2016].

26 Christian Schweiger: Towards convergence? New Labour’s Third Way and

the SPD’s Agenda 2010 in comparative perspective’, in: Sozialer Fort-

schritt 59 (2010), H. 9, S. 244–253.

eine militärische Eingreiftruppe zu entwickeln, um die

Krisen in der unmittelbaren Nachbarschaft der EU ohne

die Unterstützung von NATO und vor allem von ameri-

kanischen Streitkräften bewältigen zu können. Dies war

durchaus beachtlich, da Blair damit die britische Vertei-

digungspolitik, die sich traditionell an NATO und der

transatlantischen Partnerschaft orientiert, deutlich mehr in

Richtung Europa zu orientieren schien. Blair selbst sprach

stets von der Brückenfunktion Großbritanniens zwischen

europäischen und amerikanischen Sicherheitsinteressen. 

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Blairs Unterstützung für die vom amerikanischen Präsi-

denten George W. Bush initiierte militärische Intervention

im Irak 2003 machte es allerdings für seine Regierung fortan

unmöglich, diese Ambition in die Realität umzusetzen. Der

Premier hatte durch seine uneingeschränkte Unterstützung

der amerikanischen Intervention im Irak maßgeblich zur Spal-

tung der EU beigetragen: Während Italien, Spanien und die

osteuropäischen Staaten Blairs Kurs unterstützten, stellten sich

Frankreich und Deutschland fundamental gegen die Interven-

tion, die sie als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg brandmark-

ten. Durch die außenpolitische Spaltung der EU verlor Blair

substantiell an Einfluss. In der Folge schwand sein europapo-

litisches Engagement und Großbritanniens Rolle in der EU

wurde wieder zunehmend passiv. Dies änderte sich auch nicht,

als Blair 2007 vom Amt des Premierministers zurücktrat und

von seinem innerparteilichen Rivalen Gordon Brown beerbt

wurde. Brown hatte sich ohnehin als Labour-Schatzkanzler

den Ruf erworben, eher europaskeptische Positionen zu ver-

treten. Brown verhinderte den Eintritt Großbritanniens in

die Eurozone und war generell mehr an globaler politischer

Kooperation als an der Vertiefung der europäischen Zusam-

menarbeit interessiert. Mit Ausnahme seines Engagements

für eine gemeinsame europäische Initiative zur Stabilisierung

und besseren Koordinierung der europäischen Finanzindustrie

blieb Browns kurze Amtszeit ohne nennenswerte europapoliti-

sche Initiativen. Bis zu seiner Niederlage gegen David Came-

ron bei der Unterhauswahl im Mai 2010 beschränkte sich

Brown auf die Erhaltung des europapolitischen Status Quo.

Dies wurde vor allem durch seine Forderung deutlich, nach

dem Scheitern der Ratifizierung der Europäischen Konstitu-

tion durch Irland im Jahre 2008 keine weiteren Vertragsän-

derungen durchzuführen. 

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Brown beteiligte sich nur sehr

widerwillig an der Verhandlung des Lissabon-Vertrages und

blieb symbolisch sogar der Ratifizierung fern.

27 Tony Blair: Rede beim Parteitag der Labour Party, 28.09.1999.

28 Clara Marina O‘Donnel und Richard G. Whitman: European policy under

Gordon Brown: Perspectives on a future prime minister, in: International

Affairs 83 (2007), H. 2, S. 253–272, hier S. 262.