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Syrien stirbt

Einsichten und Perspektiven 1 | 16

Derzeit am erfolgreichsten geriert sich die

Dschaish al-Fatah

(„Armee der Eroberung“) im Nordwesten, der verschiedene

Gruppierungen angehören, darunter auch die radikalisla-

mistische

Al-Nusra-Front

, ein Ableger der Terrororganisa-

tion Al-Qaida sowie die salafistische Gruppierung

Ahrar

ash-Sham

. Im Gegensatz zu säkular orientierten Kräften

profitieren diese immens von internationalen Geldgebern.

Womit aber lässt sich das massive Eingreifen inter-

nationaler Akteure in den syrischen Krieg erklären? Auf

dem Rücken Syriens wird heute ein Krieg der Interessen

ausgetragen, die weit über das Land oder die nahöstliche

Region hinausgehen. Iran, Irak, Libanon und Russland

unterstützen das syrische Regime. Während Russland aus

geostrategischen Überlegungen heraus einen der letzten

verbliebenen Partner gegen die amerikanische Dominanz

im Nahen Osten sowie seinen einzigen maritimen Stütz-

punkt Tartus in der Region behalten will, ist die Regio-

nalmacht Iran mit seiner zwiespältigen Haltung zu den

arabischen Protestbewegungen an einer Verhinderung

von Nachahmungseffekten im eigenen Lande interessiert:

Gegen den Sturz von Diktatoren wie Gaddafi in Libyen

und Mubarak in Ägypten hat man in Teheran durchaus

nichts einzuwenden, dagegen kann Iran an einer Destabi-

lisierung des verbündeten Assad-Regimes nicht interessiert

sein – zumal über Syrien in der Vergangenheit problem-

los die vom Iran abhängigen

Hizbollah

-Milizen im Liba-

non militärisch und logistisch versorgt werden konnten.

In diesem Zusammenhang ist oftmals von einem „schii-

tischen Halbmond“ die Rede, um den Einfluss des Iran

im Nahen Osten zu charakterisieren, der über den Irak,

das verbündete Assad-Regime in Syrien bis zum Libanon

reicht. In dieser Interpretation wird das alawitische Assad-

Regime widerspruchslos der Schia zugerechnet und eine

quasi natürliche Verbundenheit über die Religion behaup-

tet. Dies ist jedoch wie bereits erwähnt ein großes Missver-

ständnis: Der Glaube der Alawiten widerspricht dem der

Ayatollahs in entscheidenden Punkten. Und das erklär-

termaßen säkulare Assad-Regime ist weit davon entfernt,

die Vorstellungen des iranischen „Gottesstaates“ zu teilen.

Die Verbindung mit dem Iran ist ein politisches Zweck-

bündnis, nicht Ausdruck religiöser Nähe. 

54

Das Kind mit der Kalaschnikow

Im Gegensatz zu den treuen Unterstützern der Assad-Regie-

rung konnte sich bisher keine effektive Koalition gegen

den syrischen Diktator etablieren. Im Jahr 2012 gründeten

sich die „Freunde Syriens“: Mehr als 60 Staaten sprachen

sich für eine Unterstützung der Assad-Gegner aus. Doch

um diese nie schlagkräftige Allianz ist es ruhig geworden,

insbesondere seit sich unter amerikanischer Führung 2014

eine neue Koalition bildete, die sich explizit die Vernichtung

des IS zum Ziel gesetzt hat. Viele der verbündeten Staaten

bezeichnen sich zwar als Gegner Assads, doch die Bekämp-

fung der Dschihadisten des IS steht zweifelsfrei im Vorder-

grund. Dies gilt insbesondere für die Vereinigten Staaten

im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, die in

Syrien eine neue demokratische und prowestliche Regierung

befürworten und syrische Oppositionelle ohne Verbindung

zum radikalen Islamismus mit leichten Waffen ausstatten,

sich aber seit Beginn des Krieges in Syrien wohl auch auf-

grund der Einsatzmüdigkeit der eigenen Bevölkerung nicht

zu einem entschiedenen Vorgehen gegen Assad durchringen

konnten. Der Koalition gehören jedoch auch die Golfstaa-

ten an, die einen Sturz Assads als oberste Priorität sehen und

islamistische, ihnen nahestehende Kräfte in Syrien an der

Macht sehen wollen, weshalb immer wieder finanzielle und

waffentechnische Unterstützung vom Golf an islamistische

Gruppierungen festzustellen war. Dabei wurden im Laufe

der Zeit auch Gruppen unterstützt, die heute für den IS

kämpfen. Auch das Verhalten Ankaras gegenüber dem IS ist

mittlerweile indifferent: Der Sturz des verhassten Nachbarn

Assad stand lange an oberster Stelle der türkischen Außen-

politik, weshalb man das Einsickern islamistischer Kämp-

fer nach Syrien jahrelang gewähren ließ – in der Hoffnung,

54 Anders als der Titel suggeriert, kommen die Islamwissenschaftler Albrecht

Fuess und Christoph Werner in einem Gastbeitrag zu einer lesenswerten

und differenzierten Betrachtung des Paradigmas eines „schiitisch-sunni-

tischen Konflikts“ im Nahen Osten: Tausendundeine Nacht, in: FAZ vom

18.01.2016; online:

http://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/

muslime-tausendundeine-nacht-14019331.html [Stand: 14.02.2016].

Besuch des syrischen Präsidenten beim russischen Präsidenten Wladimir

Putin, Kreml, 20. Oktober 2015

Foto: picture alliance/Fotograf: Alexei Druzhinin