Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 13

Zur Lage der Ukraine zwischen Ost und West: Strukturen und aktuelle Entwicklungen
Einsichten und Perspektiven 1 | 14
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14 Vgl. Fischer Weltalmanach 2014, Frankfurt am Main 2013, S. 567.
15 Vgl. etwa
/ [Stand:
18. März 2014].
terstützung für die vor dem Bankrott stehende Ukraine zu
gewähren. Washington hat lediglich angekündigt, eine Ga-
rantie für ukrainische Staatsanleihen in Höhe von einer Mil-
liarde Dollar übernehmen, stellt selbst also kein Geld zur
Verfügung. Die Europäische Union kündigte elf Milliarden
Euro auf die kommenden Jahre verteilt an. Diese auf Rück-
zahlung angelegten Kredite werden nur dann fließen, falls
die Weltbank bzw. der IWF kooperieren. Zum Vergleich:
Polen hat allein im Jahre 2011 10,8 Milliarden Euro mehr
aus den EU-Töpfen erhalten, als es eingezahlt hat.
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Allein das ukrainische Haushaltsdefizit dieses Jah-
res (13,5 Mrd. Dollar) übersteigt die westlichen Zusagen für
mehrere Jahre. Die Schwierigkeiten werden noch erheblich
wachsen, wenn der Austausch mit dem wichtigsten Han-
delspartner, nämlich Russland, dauerhaften Schaden nimmt.
Zudem wird Moskau die Gaspreisrabatte auslaufen lassen,
was 2014 weitere Kosten in Höhe von mehr als zwei Milli-
arden Dollar verursachen wird.
Eine derart angespannte Situation wie in der Krim-
krise 2013/2014 gab es Europa zuletzt vor 25 Jahren. Die
weltweite Medienberichterstattung zeugt von einer Art
Schock: Nur wenige hätten für möglich gehalten, dass sich
in kürzester Zeit der Ton zwischen Ost und West, Katego-
rien, die viele mit dem Sturz des „Ostblocks“ 1991 für Ge-
schichte erklärt hatten, so drastisch verschärfen würde. Das
schiefe Bild vom Kalten Krieg geistert durch aktuelle
„Brennpunkte“ und Diskussionsrunden. Nachrichtensen-
dungen und die scharfe Rhetorik einiger Kommentatoren
scheint dem bereits eingemottet geglaubten verbalen Arse-
nal der sechziger, siebziger und achtziger Jahre entnommen,
vgl. jüngste Äußerungen des ehemaligen US-amerikani-
schen Sicherheitsberaters ZbigniewBrzezi
ń
ski, der ein mas-
sives Einschreiten gegen Russland empfiehlt.
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In dem auf allen Ebenen der internationalen Si-
cherheitsarchitektur laufenden Krisenmanagement geht es
derzeit vor allem um Deeskalation. Diskutiert werden als
Sofortmaßnahmen u. a. die Entfernung Rechtsradikaler aus
der ukrainischen Regierung; die glaubwürdige Untersu-
chung der Hintergründe der Gewalttaten des Winters unter
internationaler Aufsicht. Eine mögliche Lösung der territo-
rialen Frage könnte z.B. in einer Föderalisierung der Ukrai-
ne bestehen, bei der Russland im Gegenzug auf die Unter-
stützung prorussischer Separatisten in der Ost- und Süd-
ukraine verzichten würde.
Es wird im Folgenden darum gehen, die Zukunft der Ukrai-
ne, der Krim und der europäischen Ordnung auf internatio-
naler Ebene gemeinsam zu diskutieren. Wird es überhaupt
möglich sein, mit Russland einen Ausgleich zu er-
zielen? Eine Aufnahme der Krim in den russischen Staats-
verband ist sicher. Die Halbinsel und insbesondere die Stadt
Sewastopol besitzen für Millionen Russen aufgrund ihrer
Bedeutung im Zweiten Weltkrieg einen sehr hohen Sym-
bolwert. Die russische Führung hat sich offenbar dafür ent-
schieden, dass die Unterstützung durch das patriotische La-
ger im Innern höher zu bewerten ist als international gülti-
ge Verträge. Lässt dies darauf schließen, dass Russland ein
weiteres Ausgreifen beabsichtigt? Der Westen sollte auf der
einen Seite Festigkeit zeigen. In Ostmitteleuropa verbreite-
te Sorgen sollten ernst genommen werden. Auf der anderen
Seite sollte der Versuch unternommen werden, russische
Sorgen vor einer „Einkreisung“ zu entkräften, die zu einer
weiteren Eskalation beitragen könnten.
Weder Verhandlungen im Winter 2013/14 zwi-
schen der Ukraine, der EU und Russland, noch beispiels-
weise der russische Vorschlag eines gesamteuropäischen
Wirtschaftsraums, den Putin zuletzt auf den EU-Russland-
Gipfel Ende Januar 2014 wiederholt hat, führten bisher zu
einem Ergebnis. Der „Westen“ könnte in Anbetracht der
unzureichenden Hilfszusagen den Eindruck erwecken, es
gehe ihm nicht um die Ukraine, sondern darum, Russland
zu isolieren. Dies dürfte die innen- und außenpolitischen
Falken in Russland gestärkt haben. Über 20 Jahre gab es
zahlreiche Indizien dafür, dass der Westen und Russland zu
einem engen Einvernehmen, ja sogar zu einem Bündnis fin-
den könnten. So erklärte NATO-Generalsekretär Rasmus-
sen noch 2010, er gehe davon aus, dass beide Seiten bis 2020
ein gemeinsames Raketenabwehrsystem schaffen werden.
Die Ukraine-Krise und die russische Krimpolitik machen
deutlich, dass sich der Westen und Russland in Zukunft als
Konkurrenten, wenn nicht Gegner betrachten werden. In
diesen Wochen werden Strukturen für Jahrzehnte geschaf-
fen. Eine dauerhafte Konfrontation zwischen dem Westen
und Russland würde die Lösung zahlreicher Fragen welt-
politischer Probleme be-, wenn nicht verhindern, z. B. hin-
sichtlich Syriens oder des Iran. China hingegen, die einzige
Macht, die das Potenzial besitzt, zum Konkurrenten des
Westens heranzuwachsen, könnte als „lachender Dritter“
profitieren.
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