Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 12

der Wünsche der Bevölkerung liefern; zum einen allein
schon aufgrund der völlig unzureichenden Vorbereitungs-
zeit für diesen Schritt, zum anderen, weil zeitgleich durch
tausende Bewaffnete ohne Hoheitsabzeichen insbesondere
vor Stützpunkten des ukrainischen Militärs ein Bedro-
hungsszenario aufgebaut wurde.
Gescheiterte Ausgleichsbemühungen
John Kerry, Außenminister der Vereinigten Staaten, sagte
am 2. März, dass man im 21. Jahrhundert nicht wie im 19.
agieren könnte, als unter gänzlich durchsichtigen Vorwän-
den Invasionen durchgeführt worden seien.
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Diese Worte
wirkten in Erinnerung an den Irak 2003 provozierend auf
Russland.
Deutschland versuchte einen anderen Ansatz mit
dem Ziel der Deeskalation: Außenminister Steinmeier ver-
langte von der neuen Führung in Kiew, die russische Min-
derheit im Land zu schützen; die Bundesrepublik verhin-
derte am 3. März auf einer EU-Sondersitzung die sofortige
Verhängung von Sanktionen, um Zeit für eine Deeskalation
und einen Dialog zu gewinnen. Dieser kam jedoch nicht in
Gang: Russland war nicht bereit, die Kiewer Führung als le-
gitim anzuerkennen. Die neue ukrainische Regierung wie-
derum forderte als Voraussetzung für Gespräche den Rück-
zug der Einheiten von der Krim. Westliche Staaten bestärk-
ten Kiew entweder oder fanden nicht die Kraft, sich
nachdrücklich für dessen Mäßigung einzusetzen. Die Lage
eskalierte weiter.
Am 6. März beschlossen die Staats- und Regie-
rungschefs der EU-Staaten die Verhandlungen über Visaer-
leichterungen und ein neues EU-Russland-Abkommen
auszusetzen. Weitere Maßnahmen wurden angekündigt,
falls Moskau nicht einlenke. Gegenleistungen wurden nicht
angeboten, es gab auch keine deutliche Mahnung an Kiew.
Die Vereinbarungen vom 21. Februar wurden offenbar auf
den EU-Treffen nicht mehr thematisiert.
Zukunftsperspektiven und Handlungs-
optionen
Sanktionen
Es steht zu befürchten, dass die bislang verhängten oder an-
gedrohten Sanktionen (Einreiseverbote für bedeutende rus-
sische Akteure, Kontensperrungen) nicht zielführend, ja
kontraproduktiv wirken werden, denn sie sind erstens le-
diglich symbolischer Natur. Ernsthafte Sanktionen (wie et-
12 Vgl. etwa
[Stand: 18.
März 2014].
13 Vgl.
[Stand: 17. März 2014].
Zur Lage der Ukraine zwischen Ost und West: Strukturen und aktuelle Entwicklungen
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wa eine Aufkündigung der in den vergangenen Jahren ver-
einbarten Kooperationen westlicher Energieunternehmen
mit russischen Partnern, die sich auf eine dreistellige Milli-
ardenhöhe belaufen) stehen nicht zur Debatte, da ihre Fol-
gen nicht beherrschbar wären. Der Westen und Russland
wissen, dass harte Sanktionen aufgrund des geostrategi-
schen und militärischen Gewichts Russlands nicht in Frage
kommen. Zudem könnten russische Gegenmaßnahmen den
Westen empfindlich treffen, beispielsweise wenn Moskau
seine Kooperation hinsichtlich Afghanistans beendete, sei-
ne Gaslieferungen drosselte etc. Dabei spielt es für das Kri-
senmanagement eine erhebliche Rolle, dass Staaten wie die
Bundesrepublik oder die baltischen Staaten in viel engerer
Verflechtung mit Russland stehen als etwa die USA.
Zweitens: Die derzeit verhängten oder angedroh-
ten Sanktionen sind für Russland nicht schmerzhaft genug
– und können es auch nicht sein –, um einen Kurswechsel in
Moskau herbeizuführen: Sie wirken vielmehr provozierend
und bieten Präsident Putin eher die Möglichkeit, sich als
„standhaften Kämpfer“ gegenüber den „Übergriffen des
Westens“ zu präsentieren.
Der Preis, den Russland zahlt
Das Eingreifen auf der Krim und seine Folgen verursachen
Russland gleichwohl sehr hohe wirtschaftliche und politi-
sche Kosten: Erstens musste Russland auch bislang auslän-
dischen Investoren, die das Land benötigt, ungewöhnlich
hohe Gewinnmargen ermöglichen, um sie für ein Engage-
ment zu gewinnen.
13
Diese werden nunmehr als Ausgleich
für ein erhöhtes politisches Risiko noch bessere Gewinn-
aussichten fordern, was für Russland zu volkswirtschaftli-
chen Kosten von mehreren Milliarden Euro jährlich führen
wird. Russland wird zweitens in Zukunft nicht mehr als
„bester Freund der Ukraine“ gelten. Insbesondere seit An-
fang März ist bei Millionen Ukrainern eine tiefe Abneigung
gegenüber demNachbarn entstanden, die lange nachwirken
dürfte. Drittens: Auch bei Ländern, mit denen Russland ko-
operative oder gar freundschaftliche Beziehungen pflegt, ist
die Vorsicht gegenüber dem Kreml gewachsen. Er wird in
Zukunft größere Zugeständnisse als in der Vergangenheit
machenmüssen, umKooperationsbereitschaft herzustellen.
Illusorische Erwartungen in der Ukraine
Der Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union erscheint
auf lange Jahre illusorisch. Es ist nicht sicher, ob „der Wes-
ten“ dazu bereit sein wird, die notwendige finanzielle Un-
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