Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 10

und die Zinsen für ukrainische Staatsanleihen waren so
hoch, dass sie auf Dauer untragbar waren. Die Ukraine be-
nötigte kurzfristig Milliarden.
Ab Ende November wurde hinter den Kulissen ge-
feilscht, und Kiew versuchte, den Preis hochzutreiben. So
warnte Wladimir Oleinik, ein Vertrauter des ukrainischen
Präsidenten im „Spiegel“, dass Wladimir Putin die Sowjet-
union neu errichten wolle, und forderte westliche Unter-
stützung.
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Moskau sah sich in einem Bieterwettbewerb un-
ter Druck, erklärte, für bis zu 15 Milliarden Dollar ukraini-
sche Staatsanleihen mit einem niedrigen Zinssatz zu kaufen,
und gewährte einen Gaspreisrabatt in Höhe von drei Milli-
arden Dollar für 2014. Der Bankrott war abgewendet.
Aus Sicht des Kremls stellten diese umfangreichen
Leistungen ein großes Entgegenkommen gegenüber der
Ukraine dar, an denen ablesbar ist, dass die Ukraine für
Russland nicht nur eine nicht zu überschätzende strategi-
sche wie wirtschaftliche, sondern auch emotionale Bedeu-
tung besitzt. Es ging darum, nach der von vielen national
eingestellten Russen betrauerten Auflösung des ehemaligen
sowjetischen Imperiums nicht auch noch der Bindung
wichtiger (aus dieser Sicht) russischer Kerngebiete an den
Westen zuzusehen. Trotz aller Attraktivität des Westens be-
steht bei vielenUkrainern umgekehrt nachwie vor eine star-
ke innere Bindung an Russland. In Russland waren im De-
zember 2013 nach einer Umfrage von „Gallup“ sowie der
„BBC“ 55 Prozent der Befragten der Ansicht, dass die Auf-
lösung der Sowjetunion ihre eigenen Land geschadet habe.
In der Ukraine lag dieser Wert bei 56 Prozent.
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Kiew in der Hand Moskaus?
Hätte Russland durch eine Rücknahme der Kredite die
Ukraine nicht in den Konkurs treiben können? War Kiew
nicht zu besonderer Rücksichtnahme auf Moskau genötigt?
Dies scheint nicht der Fall gewesen zu sein, denn die Ukrai-
ne machte sehr deutlich, dass sie der Zollunion nicht beitre-
ten und weiterhin das Assoziierungsabkommen anstreben
wolle. Russland gewährte folglich Milliarden dafür, dass
Kiew dieses Vorhaben lediglich zurückstellte.
Folgende Szenarios wären möglich gewesen: Wenn
Moskau die gewährten Kredite zurückforderte, ginge die
Ukraine entweder bankrott oder westliche Kredite ersetz-
ten die russischen Milliarden. Im ersten Fall verlöre Russ-
land nicht nur viel Geld, sondern gälte auch als Land, das
die Ukraine in den Ruin (und eine schwere Wirtschaftskri-
se) gestürzt hat. Dies würde antirussische Stimmungen er-
heblich anheizen. Wenn aber im Falle einer Rückforderung
7 Vgl.
[Stand: 16.
März 2014].
8 Vgl.
[Stand: 19. März 2014].
Zur Lage der Ukraine zwischen Ost und West: Strukturen und aktuelle Entwicklungen
Einsichten und Perspektiven 1 | 14
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der Kredite westliche Mittel an dessen Stelle träten, gälte der
Westen als „Retter“, und der Ruf Moskaus wäre auch bei
seinen ukrainischen Freunden schwer beschädigt. Russland
war folglich nicht in der Lage, Kredite zurückzufordern
oder damit zu drohen. Folgerichtig erklärte Präsident Putin
auf dem EU-Russland-Gipfel Ende Januar 2014, dass für
Russland die Vereinbarungen mit der Ukraine unabhängig
von der jeweiligen Führung in Kiew Gültigkeit besäßen.
Russland hat seinen bislang gewährten Kredit in Höhe von
drei Milliarden Dollar nicht zurückgefordert.
Die Spirale der Eskalation in der Krim-Krise
seit November 2013
Die Protestbewegung
Seit Ende November artikulierte sich in der Ukraine uner-
wartet massiver öffentlicher Protest. Die Weigerung von
Präsident Janukowitsch das Assoziierungsabkommen mit
der Europäischen Union zu unterzeichnen, das eine weit-
gehende Übernahme von EU-Regularien durch die Ukrai-
ne und den Beitritt zum EU-Zollgebiet vorsah, war der
Auslöser; im Eigentlichen ging es den Demonstrierenden
um die unhaltbaren Zustände im Innern des Landes. Sie er-
hofften mit der Bindung an die EU einen Reformschub und
letztlich auch den Beitritt zur EU. Zudem verfolgte ein Teil
der Demonstranten nationalistisch-antirussische Motive,
was auf viele, die die Politik der damaligen ukrainischen
Führung ablehnten, abschreckend wirkte. Nach einer Um-
frage von Ende Dezember 2013 lehnten lediglich 28 Prozent
der Befragten die Vereinbarungen mit Russland ab, wäh-
rend 47 Prozent sie begrüßten.
Die Protestbewegung wurde imWesten des Landes
mehrheitlich unterstützt, im Osten jedoch mit ähnlichen
Werten abgelehnt. Einige Indizien deuteten darauf hin, dass
die Menschen im ganzen Land der Führung überwiegend
misstrauten, die Angebote der Opposition aber für untaug-
lich hielten, die tiefgreifenden Probleme des Landes zu lö-
sen. Hierfür spricht z.B., dass die Aufrufe des Oppositions-
politikers Vitali Klitschko für einen Generalstreik im De-
zember 2013 und Januar 2014 im Sande verliefen.
Der deutsche Außenminister Steinmeier – ähnlich
wie Bundeskanzlerin Angela Merkel - mahnte die streiten-
den Parteien wiederholt, die Ukraine dürfe nicht zwischen
Ost und West „zerrissen“ werden. Gemeinsame Gespräche
zwischen Brüssel, Kiew und Moskau, zu denen Deutsch-
land und Russland Zustimmung signalisierten, hätten die Si-
tuation vielleicht entspannen können. Einige westliche Län-
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