Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 64

Frauenzuchthaus Aichach, Gefangene auf dem täglichen Spaziergang
Foto: ullstein bild, Wolfgang Weber
nicht viel Federlesens bei der Erschießung von Arbeitern
machten. Danach war Bayern Sammelpunkt und Auf-
marschgebiet für reaktionäre Monarchisten, völkische Na-
tionalisten und erklärte Gegner der Weimarer Republik.
Der Mehrheit unter den Richtern im Deutschen Reich galt
die Novemberrevolution sowieso als „Hochverrat“, was in
politischen Strafverfolgungen immer wieder deutlich wur-
de: Rechtsradikale Straftäter konnten auf Milde rechnen,
während Sozialdemokraten und Kommunisten scharf ver-
folgt wurden.
Daneben war in der Richterschaft und Polizei in
den 1920er-Jahren die Ansicht weit verbreitet, dass es ein
„Gewohnheitsverbrechertum“ oder ein „Berufsverbrecher-
tum“ gebe. Diese Personengruppe galt als im Grunde nicht
resozialisierbar und würde sich auch durch harte Haftstra-
fen nicht von weiteren Straftaten abhalten lassen. Nach Ro-
Die vergessenen Frauen von Aichach
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bert Heindl, einem der einflussreichsten Kriminalpolitiker
seiner Zeit, helfe hier nur ein völlig neuer Ansatz: die Aus-
schaltung dieser Gruppe durch vorbeugende und möglichst
lebenslange Internierung. Daraus werden dann unter den
Nationalsozialisten die Vorbeugehaft und die Sicherungs-
verwahrung.
1
Mit Walburga W. meint es das Leben derweil nicht
gut. Am 14. September 1928 wird sie nach vier Monaten um
8.10 Uhr aus der Haft in Aichach entlassen, ein Zugbillet
nach München in der Tasche. Nur acht Tage später drängt
sie sich am Münchner Viktualienmarkt „vor dem Wurst-
stand an die Hilfsarbeiterfrau Margaret Humpelmeier“ und
entwendet ihr, so die Anklage, die Geldbörse. Warum die
Mutter zweier kleiner Töchter mit Diebstählen immer wie-
der straffällig wird, bleibt unklar. Bei Vernehmungen ver-
neint sie eine materielle Not, spricht von einem „inneren
1 Vgl. Thomas Roth: Von den „Antisozialen“ zu den „Asozialen“. Ideologie und Struktur kriminalpolizeilicher „Verbrechensbekämpfung“
im Nationalsozialismus, in: Dietmar Sedlaczek u. a.: „minderwertig“ und „asozial“. Stationen der Verfolgung gesellschaftlicher Außenseiter,
Zürich 2005, S. 65–88, hier: S. 67.
1...,54,55,56,57,58,59,60,61,62,63 65,66,67,68,69,70,71,72
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