Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 68

Blick auf das Frauenlager in Auschwitz-Birkenau, Aufnahme aus den ersten Jahren nach der Befreiung
Foto: ullstein bild
In Punkt 1 ging es um die „Korrektur bei nicht genügenden
Justizurteilen durch polizeiliche Sonderbehandlung“, also
um die Ermordung von Verurteilten, die nach Meinung der
Nazis mit einem zu milden Urteil davongekommen waren.
„Das ist unwertes Leben in höchster Potenz“, äu-
ßert sich Thierack zur „Abgabe asozialer Gefangener“.
Vernichtung durch Arbeit
Bereits im Oktober 1942 wird mit einem Geheimerlass des
Justizministeriums die Auslieferung „asozialer Elemente“
aus dem Strafvollzug an die SS zur „Vernichtung durch Ar-
beit“ angeordnet, ab 1. November 1942 beginnt die Selekti-
on in den Haftanstalten. Rechtlich bedeutete diese Auslie-
ferung den totalen Rückzug der Justiz, die Betroffenen er-
wartete kein Gerichtsverfahren mehr, sondern nur noch die
Willkür von SS, Gestapo und Polizei. Bis zum30. April 1943
waren 14700 Personen aus den Haftanstalten in die Kon-
zentrationslager deportiert worden, davonwaren bereits am
1. April über 5900 verstorben.
In Aichach beginnen Anfang 1943 die Transporte
nach Auschwitz, am 26. März wird auch Walburga W. de-
6 100 Jahre – JVA Aichach, Interne Festschrift der JVA Aichach 2009, S. 101.
7 Nikolaus Wachsmann: Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat, München 2006, S. 336.
8 Zitiert nach Wachsmann, ebd.
Die vergessenen Frauen von Aichach
Einsichten und Perspektiven 3 | 13
204
portiert. Innerhalb von drei Tagen werden 92 Frauen in Si-
cherheitsverwahrung auf den Transport geschickt. In einem
Schreiben beschwert sich am 7. April der Gendarmeriepos-
ten Aichach über das „primitive Waggonmaterial“, das da-
bei zum Einsatz kommt: „Beide Waggon waren für diesen
langen Transport (dreieinhalb Tage und drei Nächte) man-
gels Kabine zum Ausruhen des abgelösten Begleitpersonals
sowie verschließbaren Türen ungeeignet.“
6
Die Anstaltslei-
tung schließt sich diesen Bedenken „voll an“, da „mit wei-
teren Transporten unter Umständen zu rechnen ist“.
Wussten die Gefängnisleitung und die Vollzugs-
beamten, was die Deportierten erwartete? Der Historiker
Nikolaus Wachsmann konstatiert jedenfalls eine „breite
Zustimmung der örtlichen Gefängnisbeamten zur ‚Vernich-
tung durch Arbeit‘“.
7
Den ideologischen Hintergrund
macht Hitlers Sportpalastrede vom 30. September 1942, nur
wenige Tage nach der Billigung der Mordaktion durch Thie-
rack und Himmler, deutlich: „In einer Zeit, in der die Bes-
ten unseres Volkes an der Front eingesetzt werden müssen
und dort mit ihrem Leben einstehen, in dieser Zeit ist kein
Platz für Verbrecher und Taugenichtse [...] Wir werden die-
se Verbrecher ausrotten, und wir haben sie ausgerottet.“
8
1...,58,59,60,61,62,63,64,65,66,67 69,70,71,72
Powered by FlippingBook