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waren nicht in der Partei. Trotzdem

durften w ir unterrichten. Ich kenne

aber Kollegen, die wegen mißliebi–

ger Äußerungen aus dem Schuldienst

entfernt wurden.

Welche Rolle hat in diesem Zusam–

menhang das Fach "Staatsbürger–

kunde" gespielt, das zum Pflichtpro–

gramm in den Klassen sieben bis

zehn der Polytechnischen Oberschu–

le gehörte?

Die Lehrer für Staatsbürgerkunde–

waren selbstverständlich Mitglieder

der SED; sie nahmen regelmäßig an

ideologischen Fortbildungsveranstal–

tungen teil und waren - das wissen

wir offiziell erst seit kurzem - der je–

weiligen SED-Kreisleitung unterstellt.

So wurde vom Apparat gewährlei–

stet, daß in der Schule die Indoktrina–

tion sicher nicht zu kurz kam. Inhalt–

lich ging es in diesem Fach, etwa in

der Oberstufe, um die Aneignung

des Marxismus-Leninismus; es muß–

ten Zitate von Marx, Engels, Lenin,

Ulbricht oder Honecker analysiert

und mit der neuesten Entwicklung in

Einklang gebracht werden. Sie kön–

nen sich vielleicht vorstellen, welch

eine trockene Angelegenheit das

war. Viele haben den Staatsbürger–

kundelehrer angesichts der immer

größer werdenden Widersprüche

zwischen Ideologie und Realität gar

nicht mehr ernst genommen.

Wir sind wirklich froh darüber, daß

der Staatsbürgerkundeunterricht An–

fang 1990 abgeschafft und durch das

vollkommen neue Fach Gesell–

schaftskunde ersetzt wurde. ln die-

14 SCHULE

aktuell

"Die SED

hatte

natürlich

auch

in der

Schule

das Sagen."

sem Fach gibt es vorerst keine Noten.

Die Schüler müssen sich erst an die

neuen Spielregeln gewöhnen, denn

bisher wußten sie nur zu gut, welche

Äußerungen gern gehört wurden und

welche man besser nicht öffentlich

vorbrachte.

Welche Sicht hatten die Lehrer zu

vermitteln, wenn es um die Bundes–

republik Deutschland ging?

Noch in den sechziger Jahren sprach

man vom " Klassenfeind", von dem

es sich abzugrenzen und vor dem es

sich zu schützen galt. Das Bild von

der Bundesrepublik wurde in aggres–

siven Farben gemalt. Wer da eine

abweichende Meinung vertreten

wollte, mußte darauf gefaßt sein,

selbst als Klassenfeind gebrand–

markt zu werden. ln den siebziger

Jahren änderte sich die Tonlage.

Jetzt konnte man einfach nicht mehr

verheimlichen- das Fernsehen liefer–

te ja genug Anschauungsmaterial -,

daß "drüben" ein außerordentlich

leistungsfähiges Wirtschaftssystem

entstanden war; dafür wurden nun

bei Ihnen sicherlich vorhandene Pro–

bleme wie Arbeitslosigkeit, Obdach–

losigkeit oder Drogenmißbrauch in

unseren Medien aufgebauscht, um

sich vom Westen abzugrenzen. Bis zu

einem gewissen Grad habe auch

ich diese Schwarzweißmalerei für

wahr gehalten - es fehlte uns eben

die eigene Anschauung. So konnten

sich bei uns Erwachsenen Vorurteile

bilden, und die Schüler bekamen sie

natürlich weitervermittelt

Ich möchte ffier einen Beleg aus dem

Unterricht anfügen: Wenn ich jetzt

in Gesellschaftskunde die soziale

Marktwirtschaft behand le - wir ha–

ben dafür vor kurzem Bücher von

einer Schule in Unterfranken bekom–

men -, so wollen manche Schüler

noch gar nicht akzeptieren, daß das

gewohnte Bild von der bundesdeut–

schen "Wolfsgesellschaft", wo der

Stärkere dem Schwächeren keine

Chance läßt, korrig iert werden muß.

Können Sie uns einige Grundsätze

der schulischen Erziehung in · der

DDR nennen?

Das Erziehungsziel war die " soziali–

stische Persönlichkeit". Freilich ist

dieses Ziel nie erreicht worden -Indi–

viduen lassen sich eben nicht voll–

kommen gleich ausrichten. Und es

,gab immer wieder Schüler, die sich

gegen die Vereinnahmung sogar ge–

wehrt haben. Der Unterricht selbst

war allerdings schon sehr straff or–

ganisiert. So hatte ein Schüler, der

Gruppenvorstand oder Ordnungs–

schüler, "Achtung" zu rufen, wenn

der Lehrer das Klassenzimmer betrat,

und z. B. folgende Meldung zu ma–

chen: "Herr Schmidt, die Klasse 8a ist

mit 21 Mann zum Unterricht bereit.

Schüler Kaufmann fehlt. "

Welche Möglichkeiten hatten ei–

gentlich die Schulabgänger, ihren

Berufswunsch zu realisieren?

Für die Absolventen der POS gab es

in jedem Kreis ein Lehrstellenver–

zeichnis. Wer seinen Beruf in diesem

Verzeichnis nicht fand, mußte sich

umorientieren oder auswärts auf die

Suche gehen; jedem Absolventen der

Polytechnischen Oberschule war

"Wir müssen uns erst an die