Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 61

Neue Formen der Bürgerbeteiligung
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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Bürgerhaushalt bedeutet, dass die Bevölkerung aktiv in die
Planung von öffentlichen Ausgaben und Einnahmen einbe-
zogen wird. Der Bürgerhaushalt ist ein indirekt-demokra-
tisches Instrument: Die Bürger entscheiden nicht, sondern
beraten. Zudem ist er ein konsultatives Verfahren, d. h., die
Bürger machen Vorschläge und geben Hinweise. Mit ihrer
lokalen Expertise und ihren Priorisierungen können sie die
fachliche Diskussion um die Haushaltsplanung verbessern.
Voraussetzung dabei ist, dass die Verwaltung die Vorschlä-
ge und Hinweise bei der Aufstellung des Haushalts berück-
sichtigt. Und es sollten ausreichend finanzielle und perso-
nelle Ressourcen für ein solches – auf eine längere Frist an-
gelegtes – Verfahren vorhanden sein. Am Ende entscheidet
jedoch der Gemeinderat über die Vorschläge und muss be-
gründen, welche Vorschläge umgesetzt werden und welche
nicht.
Die Argumente für Bürgerhaushalte aus der Per-
spektive der Bürgerinnen und Bürger, der Verwaltung und
der Politik sind dabei vielfältig. Zunächst schaffen Bürger-
haushalte Transparenz über die Verwendung öffentlicher
Mittel, was wiederum das Vertrauen der Bürger in die Poli-
tik stärkt. Generell identifizieren sich diese damit mehr mit
der Politik ihrer Stadt und sind zudem informierter. Die
Verwaltung erhält wertvolle Vorschläge und Hinweise, weil
Bürgerwissen die Fachkenntnisse der Verwaltung ergänzen
kann. Im besten Fall kann ein Bürgerhaushalt auch entlas-
tend für die Politik und für das Verwaltungshandeln wirken,
wenn die Bürger Entscheidungen nun besser verstehen und
auch eher akzeptieren. Für die Politik kann ein Bürger-
haushalt positiv sein, weil die Präferenzen der Bürger nun
besser bekannt sind. Zudem kann im günstigen Fall auch die
Politikverdrossenheit abgebaut werden, da Vertrauen und
Akzeptanz von Entscheidungen gefördert werden.
Gegen Bürgerhaushalte spricht, dass diese sehr zeitaufwen-
dig und kostspielig sind. Zudem werden auch bei diesem
Verfahren besonders diejenigen erfolgreich Einfluss neh-
men, die über bessere Kommunikationsfähigkeiten bzw.
bessere Internetkenntnisse verfügen. Bildungsfernere
Schichten haben deutlich höhere Hürden für die Partizipa-
tion zu überwinden. Für die Verwaltung ist dies außerdem
ein zeitaufwendiges und kostspieliges Verfahren, das ihre
Effizienz einschränkt. Für die Politik kann man argumen-
tieren, dass sie sich selbst ihrer Steuerungsfähigkeit und
Führungsaufgaben – zumindest teilweise – entledigt. Pro-
blematisch ist außerdem, dass sich nur eine kleine, nicht re-
präsentative Minderheit von Bürgerinnen und Bürgern be-
teiligt. Dies kann zu Lobbyismus führen, denn die aktiven
Bürger verfolgen Eigeninteressen, nicht das Gemeinwohl.
Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Politikver-
drossenheit erhöht, wenn Bürgervorschläge nicht umge-
setzt werden.
Ein Bürgerhaushalt kann sich auf unterschiedliche
Teile des Haushaltes beziehen. Am häufigsten stehen der
Gesamthaushalt (rund 70 Prozent aller Fälle), dann Teil-
budgets mit fester Summe, dann Mischformen und schließ-
lich lediglich ausgewählte Haushaltsbereiche im Fokus ei-
nes durchgeführten Bürgerhaushalts.
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In der Regel können
die Teilnehmenden unterschiedliche Ideen einbringen:
(a) für Sparmaßnahmen, (b) für Ausgaben oder (c) sowohl
Spar- als auch Ausgabenvorschläge. Die offene Variante mit
der Möglichkeit, sowohl für Konsolidierungs- als auch
Ausgabenvorschläge zu votieren, kommt dabei am häufig-
sten vor.
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Die Bürgerhaushalte haben generell eine unter-
schiedliche Reichweite, was die Beteiligungsformen anbe-
langt. So können Teilnehmer mitunter eigene Vorschläge
machen, sie können Feedback zu Verwaltungsvorschlägen
geben oder haben tatsächliche Entscheidungsmacht.
Schließlich gibt es noch Mischformen. Insgesamt sind vor-
schlagsbasierte bzw. feedbackorientierte Verfahren amzahl-
reichsten.
35 Vgl. Nina Schröter: Sechster Statusbericht Buergerhaushalt.org, Bonn 2013, S. 4.
36 Ebd., S. 5.
1...,51,52,53,54,55,56,57,58,59,60 62,63,64
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