Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 57

Neue Formen der Bürgerbeteiligung
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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23 Vgl. Lothar Frick: Die Schlichtung zu Stuttgart 21. Vorbild für eine neue Bürgerbeteiligung?, in: Der Bürger im Staat 62 (2012), H. 3,
S. 162–167.
24 Dirk Kurbjuweit: Der Wutbürger, in: Der Spiegel (2010), H. 41, S. 26–27, hier S. 26.
25 Vgl. Britta Baumgarten: Die neue alte Bürgerbewegung. SozialforscherInnen haben untersucht, wer gegen das Großprojekt Stuttgart 21
protestiert und warum, in: Umwelt aktuell (2011), H. 12, S. 2–3, hier S. 2.
26 Vgl. Dieter Rucht / Britta Baumgarten u. a.: Befragung von Demonstranten gegen Stuttgart 21 am 18.10.2010,
/
default/files/projekte/stgt_21_kurzbericht_2010.pdf [Stand: 15.11.2013].
27 Vgl. Matthias Fatke / Markus Freitag: Direct Democracy: Protest Catalyst or Protest Alternative?, in: Political Behavior 35 (2013), H. 2,
S. 237–260.
28 Vgl. Thorsten Faas / Rüdiger Schmitt-Beck: Tabellenband zur Studie Meinungsbildung, Entscheidungsfindung und Legitimität politischer
Entscheidungen anlässlich der Volksabstimmung zu Stuttgart 21, Mannheim 2012.
Bürgerbegehren, Demonstrationen, rechtliche Klageschrit-
te, aber auch Innovationen wie die Schlichtung zu „Stutt-
gart 21“
23
oder der Filderdialog (wo es um die Frage der An-
bindung des Flughafens und der regionalen Anbindung
ging) sind hier zu nennen. Der Journalist Dirk Kurbjuweit
hat im Zuge der Stuttgart 21-Demonstrationen sogar einen
neuen „
homo politicus
“ identifiziert: den „Wutbürger“.
Kurbjuweit charakterisiert diesen wie folgt: „Der Wutbür-
ger buht, schreit, hasst. Er ist konservativ, wohlhabend und
nicht mehr jung. Früher war er staatstragend, jetzt ist er zu-
tiefst empört über die Politiker. Er zeigt sich bei Veranstal-
tungen mit Thilo Sarrazin und bei Demonstrationen gegen
das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21.“
24
Die empirische Sozial-
forschung hat jedoch in Befragungen der S 21-Demon-
stranten schnell mit diesem Mythos aufgeräumt: Lediglich
neun Prozent wählten bei der letzten Bundestagswahl die
CDU, 49 Prozent stimmten hingegen für die Grünen und
bei der kommenden Wahl würden sogar 75 Prozent die
Grünen, wählen.
25
Die Sozialstruktur der Demonstranten
ist mitnichten vom konservativen Milieu geprägt, sondern
vielmehr von Aktivisten mit hohem Bildungsabschluss ge-
kennzeichnet, die bereits zahlreiche Protesterfahrungen in
der Vergangenheit haben.
26
Eine wichtige Funktion direktdemokratischer Ver-
fahren, aber auch neuer Beteiligungsverfahren ist die Ven-
tilfunktion: Fatke und Freitag haben jüngst in einer bemer-
kenswerten Analyse für die Schweiz gezeigt, dass der di-
rekten Demokratie eine solche Ventilfunktion innewohnt.
27
Es wird also nicht nur die Legitimation von Entscheidun-
gen erhöht, sondern auch die politische Auseinanderset-
zung befriedet. Dies deckt sich mit Ergebnissen der Umfra-
ge von Faas und Schmitt-Beck zu „Stuttgart 21“.
28
Auf die
Frage, ob die grün-rote Landesregierung von Baden-Würt-
temberg das Ergebnis der Volksabstimmung zu „Stuttgart
21“ in jedem Fall akzeptieren muss, stimmten in einer Um-
frage vor der Abstimmung nur 6,5 Prozent der Befragten
dieser Aussage nicht zu (sechs Prozent der Befürworter von
S 21 und 7,9 Prozent der Gegner von S 21). In einer Umfra-
ge nach der Abstimmung lag dieser Anteil nur noch bei
4,1 Prozent der Befragten (2,1 Prozent der Befürworter von
Quelle: Volksentscheidsranking Mehr Demokratie (wie Anm. 16), S. 8 sowie eigene Auswertungen der Datenbank Bürgerbeteiligung (
Platz im Ranking
1
2
3
4–5
4–5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
Land
Hamburg
Bayern
Bremen
Schleswig-Holstein
Thüringen
Berlin
Nordrhein-Westfalen
Sachsen
Rheinland-Pfalz
Hessen
Brandenburg
Mecklenburg-
Vorpommern
Niedersachsen
Sachsen-Anhalt
Saarland
Baden-Württemberg
Gesamtbewertung
gut (2,15)
gut (2,35)
befriedigend (2,55)
befriedigend (2,9)
befriedigend (2,9)
befriedigend (3,0)
befriedigend (3,1)
ausreichend (3,65)
ausreichend (4,0)
ausreichend (4,1)
ausreichend (4,2)
ausreichend (4,25)
ausreichend (4,3)
ausreichend (4,4)
mangelhaft (4,85)
mangelhaft (4,9)
Kommunalebene (in
Klammer Note und Platz)
gut (2,3; 5)
gut (1,7; 1)
gut (2,4; 6)
gut (1,9; 3)
gut (1,8; 2)
gut (2,0; 4)
befriedigend (2,7; 7)
ausreichend (3,5; 8)
ausreichend (3,7; 9–10)
ausreichend (3,7; 9–10)
ausreichend (4,1; 11)
ausreichend (4,3; 12–13)
ausreichend (4,3; 12–13)
mangelhaft (4,8; 15)
mangelhaft (5,0; 16)
mangelhaft (4,5; 14)
Häufigkeit von kommuna-
len Beteiligungsverfahren
(2000–2013)
53
1300
3
160
84
37
678
262
116
303
148
93
250
219
13
280
Tabelle 2: Gesetzliche Regelungen der direkten Demokratie auf Landes- und Kommunalebene sowie
Häufigkeit von kommunalen Beteiligungsverfahren
1...,47,48,49,50,51,52,53,54,55,56 58,59,60,61,62,63,64
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