Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 56

len anderen Ländern solche Verfahren eingeführt, zuletzt
2005 in Berlin.
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Dabei bestehen deutliche Unterschiede. So
gelten für Bürgerentscheide mit Ausnahme von Hamburg
in allen Bundesländern Zustimmungsquoren, am höchsten
liegen diese im Saarland mit 30 Prozent der Stimmberech-
tigten. Für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind zur
Einleitung – abhängig von der Ortsgröße – Unterschriften
zu sammeln. In nur sieben Ländern gibt es auch die Mög-
lichkeit, einen Bürgerentscheid durch die Gemeindevertre-
tung einzuleiten. Und in elf der 13 Flächenländer können
auch auf Landkreisebene (nicht: Baden-Württemberg und
Hessen) Bürgerentscheide durchgeführt werden. Unter-
schiede gibt es auch bei den Themenausschlüssen, so dass
die Möglichkeiten der Einflussnahme mitunter stark be-
grenzt sind (z. B. Haushalt und Steuern, die Organisation
der Gemeindeverwaltung, aber auch die Bauleitplanung).
Die Interessenorganisation „Mehr Demokratie“
bewertet seit mehreren Jahren vergleichend die Regelungen
auf Länderebene sowie auf kommunaler Ebene.
21
Die ag-
gregierte Bewertung sowie die Bewertung für die kommu-
nale Ebene für das Jahr 2013 sind in Tabelle 2 dargestellt. Die
Einstufung für die jeweilige Ebene basiert auf einem diffe-
renzierten Bewertungsschema. Zudem wurde noch die
Häufigkeit der abgeschlossenen Bürgerbeteiligungsverfah-
ren ausgewertet. Zwischen 1990 und 2013 – so die Auswer-
tung der Datenbank Bürgerbeteiligung (
-
kratie.de) – gab es 3 999 abgeschlossene Verfahren (vgl.
Tab. 2) mit einer großen regionalen Varianz.
Neue Formen der Beteiligung
Von den formalisierten und rechtlich geregelten Verfahren
sind die nicht formalisierten Bürgerbeteiligungsverfahren
„neuen Typs“ zu unterscheiden. Dabei gibt es Unterschie-
de beim Grad der Verbindlichkeit, der Art des Zugangs
(Selbstselektion versus Zufalls- oder bewusste Auswahl),
der Dauer des Verfahrens sowie der Zahl der Beteiligten
(vgl. Tab. 3). Als Vorteile solcher neuen Formen der Bür-
gerbeteiligung werden dabei folgende Argumente ge-
nannt:
22
• Bürgerbeteiligung kann als Ressource dienen: Sie kann
die Qualität von Entscheidungen verbessern, die Legiti-
mation von Entscheidungen erhöhen und möglicherwei-
se nachgelagerte Proteste verhindern.
• Bürgerbeteiligung ist ein demokratischerWert als solcher,
kann Interesse an Politik wecken und hilft, die Politik zu
entlasten.
• Bürgerbeteiligung stärkt die Mitverantwortung.
• Bürgerbeteiligung beinhaltet keine thematischen und
räumlichen Grenzen. Auch „unbequeme“ Themen kön-
nen angegangen und im Konsens entschieden werden.
• Ergebnisfindung ist möglich, auch bei komplexen bzw.
kontroversen Themen.
• Die Partizipation wird generell erhöht.
Das Infrastrukturprojekt „Stuttgart 21“ gilt gera-
dezu als paradigmatischer Fall, wo unterschiedlichste
Formen der politischen Beteiligung und Auseinanderset-
zungsformen zum Tragen kamen. Insbesondere die parla-
mentarische Verabschiedung, die Volksabstimmung und
20 Vgl. Theo Schiller: Direkte Demokratie auf Bundesländer- und Kommunalebene, in: Direkte Demokratie. Bestandsaufnahmen und Wir-
kungen im internationalen Vergleich, Bd. 3, Policy-Forschung und Vergleichende Regierungslehre, hg. v. Markus Freitag und Uwe Wag-
schal, Berlin 2007, S. 115–150.
21 Mehr Demokratie (wie Anm. 19).
22 Vgl. Nanz/Fritsche (wie Anm. 16).
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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Neue Formen der Bürgerbeteiligung
Bürgerentscheid zu Olympia 2022 am
10. 11. 2013 in München
Foto: ullstein bild – Sven Simon
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