Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 54

de-liberative polling
.
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Hierbei wird ein repräsentativer
Querschnitt der Bevölkerung zu einem Thema befragt. An-
schließend berät diese Gruppe zwei oder drei Tage lang ge-
meinsam sowie in Kleingruppen über das Thema, wobei
vorab Informationen gegeben werden. Außerdem haben die
Bürger die Möglichkeit, Experten zu befragen. Der weiter
unten beschriebene Filderdialog ist ein Beispiel für dieses
Verfahren. Bemerkenswert ist die tatsächliche Messbarkeit
in den Veränderungen von Präferenzen nach einem solchen
Deliberationsverfahren.
Anstieg der traditionellen Bürger-
beteiligung
E-Government, interaktive Beteiligung durch Web 2.0 und
durch soziale Medien wie Facebook und Twitter, Online-Be-
teiligungsverfahren, Bürgerhaushalte und vieles mehr wer-
den unter dem Stichwort „neue Formen der Bürgerbeteili-
gung“ diskutiert und evaluiert.
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Diesen Verfahren wohnt das
Versprechen inne, neue, alternative Beteiligungsformen an-
zubieten und so eine Medizin gegen Politik- und Parteien-
verdrossenheit zu sein. Vor dem Hintergrund von Bau- und
Großprojekten, wie etwa der Erweiterung des Flughafens
Frankfurt oder des Stuttgarter Bahnhofs, wird solchen alter-
nativen Verfahren ein höheres Potenzial zugebilligt.
Bürgerbeteiligungsverfahren sind – eigentlich –
nicht neu, sondern existieren schon lange im Baurecht. Sie
kommen vor allem in der Bauleitplanung vor, wo es recht-
lich geregelte Vorgehensweisen und Verfahren gibt, die im
Baugesetzbuch geregelt sind. So heißt es in § 3 (1) des Bau-
gesetzbuches: „Die Öffentlichkeit ist möglichst frühzeitig
über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, sich
wesentlich unterscheidende Lösungen, die für die Neuge-
staltung oder Entwicklung eines Gebiets in Betracht kom-
men, und die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung
öffentlich zu unterrichten; ihr ist Gelegenheit zur Äußerung
und Erörterung zu geben.“
Die Bürgerbeteiligung verläuft zweistufig. Nach-
dem der Gemeinderat durch öffentliche Bekanntmachung
das Planungskonzept offenlegt (Aufstellungsbeschluss),
kommt es zu einer Bürgeranhörung in einer öffentlichen
Veranstaltung. Dabei können Bürgerinnen und Bürger ihre
Einwände und Verbesserungsvorschläge vorbringen. An-
schließend kommt es zu einem ersten Planentwurf (vier
Wochen). Zu diesem können schriftlich Beanstandungen,
aber auch Verbesserungsvorschläge geäußert werden. Final
stimmt dann der Gemeinde- bzw. Stadtrat ab.
Ein weiteres Verfahren ist in 14 der 16 Bundeslän-
der der Einwohner- bzw. Bürgerantrag. Dieses als „Grup-
penpetition“ ausgestaltete Instrument ermöglicht den Ein-
wohnern einer Gemeinde, den Gemeinderat zu verpflich-
ten, sich mit einer bestimmten Angelegenheit in einer
öffentlichen Sitzung zu befassen. Hierzu muss jedoch eine
gewisse Anzahl von Unterschriften gesammelt werden, in
Bayern beispielsweise liegt diese Zahl bei einem Prozent der
Gemeindemitglieder.
Zudem können sich Bürger über öffentliche Frage-
stunden oder über die Beteiligung an Ausschüssen der Ge-
meinde an der Kommunalpolitik beteiligen. In Bayern ist
außerdem in der Gemeindeordnung die Pflicht zu einer
Bürgerversammlung festgelegt (Art. 18 bayer. GO), die ein
Mitberatungsrecht aller Gemeindebürger garantiert: „In je-
der Gemeinde hat der erste Bürgermeister mindestens ein-
mal jährlich, auf Verlangen des Gemeinderats auch öfter, ei-
ne Bürgerversammlung zur Erörterung gemeindlicher An-
gelegenheiten einzuberufen.“ Auch können die bayerischen
Bürger selbst eine Bürgerversammlung beantragen, wenn
dies – in kleinen Gemeinden – fünf Prozent der Gemeinde-
15 Vgl. James S. Fishkin: When the People Speak. Deliberative Democracy and Public Consultation, Oxford 2009.
16 Vgl. Patrizia Nanz / Miriam Fritsche: Handbuch Bürgerbeteiligung. Verfahren und Akteure, Chancen und Grenzen, Bonn 2012.
Neue Formen der Bürgerbeteiligung
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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Demonstranten einer bundesweiten Initiative protestieren am
24. 11. 2012 für ein einheitliches Nachtflugverbot zwischen
22.00 und 6.00 Uhr, gegen Fluglärm und gegen neue Flugrou-
ten des im Bau befindlichen Großflughafens BBI Schönefeld
bei Berlin.
Foto: ullstein bild – Boness / IPON
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