Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 55

Neue Formen der Bürgerbeteiligung
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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17 Vgl. Andreas Auer und Michael Bützer: Direct Democracy: The Eastern and Central European Experience, Aldershot/Burlington 2001;
und Uwe Wagschal: Direkte Demokratie: rechtliche Grundlagen und politische Praxis, in: Regierungssysteme in Mittel- und Osteuropa: die
neuen EU-Staaten im Vergleich, hg. v. Florian Grotz und Ferdinand Müller-Rommel, Wiesbaden 2011, S. 237–261.
18 Kritisch zu dieser Unterscheidung stehen Raphael Magin und Christina Eder: Direkte Demokratie in den Bundesländern: Grundlagen, In-
stitutionen, Anwendungen, in: Direkte Demokratie. Bestandsaufnahmen und Wirkungen im internationalen Vergleich, Bd. 3, Policy-For-
schung und Vergleichende Regierungslehre, hg. v. Markus Freitag und Uwe Wagschal, Berlin 2007, S. 151–188.
19 Vgl. Mehr Demokratie e.V.: Volksbegehrensbericht 2012, Berlin 2012, S. 7.
mitglieder verlangen (in Städten ab 10 000 Einwohner
2,5 Prozent).
Besonders im Fokus stand seit Beginn der „partizi-
patorischen Revolution“ der Ausbau direktdemokratischer
Instrumente. Der Anstieg direktdemokratischer Beteili-
gungsmöglichkeiten (
rules in form
) und Beteiligungshäufig-
keiten (
rules in use
) ist sowohl im internationalem Vergleich
(vgl. Tab. 1) als auch im nationalem Vergleich deutlich zu
beobachten. Gerade etwa in den neuen Demokratien Mit-
tel- und Osteuropas, den MOE-Staaten, wurden nach 1991
besonders umfangreiche direktdemokratische Elemente
eingeführt.
17
Diese bieten damit oftmals ein höheres Betei-
ligungsangebot an als westeuropäische Demokratien. Wer-
tet man die Volksabstimmungen seit 1848 aus, entfällt
knapp die Hälfte aller Volksabstimmungen in Europa und
den wichtigsten außereuropäischen Demokratien auf die
Schweiz. Dort wurden – in unterschiedlichen Varianten und
insbesondere ansteigend seit Beginn der 1970er-Jahre – rund
3,4 Volksabstimmungen pro Jahr abgehalten und damit
knapp 40-mal mehr als im Durchschnitt aller anderen euro-
päischen Länder (ohne Berücksichtigung der kantonalen
und gemeindlichen Ebene).
Generell kann man in Deutschland auf
Länderebe-
ne
zwischen zwei- und dreistufigen Verfahren der Volksge-
setzgebung unterscheiden. Dabei stellt die „Volksinitiati-
ve“, die auf keinen Fall mit der Schweizer Volksinitiative
verwechselt werden darf, die erste Stufe in einem dreistufi-
gen Verfahren bis zum Volksentscheid dar.
18
Die bundesre-
publikanische Volksinitiative zwingt lediglich die Parla-
mente, sich mit einer Vorlage zu beschäftigen, mit einem
Anhörungsrecht der Initianten. Generell können Initiato-
ren dabei wählen, ob der Landtag sich unverbindlich mit
dem Anliegen befassen soll oder ob gleich ein Volksgesetz-
gebungsverfahren mit dem Ziel eines Volksentscheids initi-
iert werden soll. Generell weisen Volksinitiativen geringere
Anforderungen (an die Unterschriftenzahl) auf als Volksbe-
gehren. Auf der Stufe des Volksbegehrens liegt die Zahl der
erforderlichen Unterschriften deutlich höher. Sie reicht von
3,8 Prozent (Brandenburg) bis 20 Prozent der Stimmbe-
rechtigten (Hessen, Saarland) mit unterschiedlichen Fristen,
was die Eintragung in die Unterschriftenlisten anbelangt
(z. B. 14 Tage in Bayern und sechs Monate in Sachsen). Zu-
dem spielt es eine Rolle, ob man eine Amtseintragung der
Unterschriften (z. B. in Bayern und Baden-Württemberg)
vornehmen muss oder diese frei sammeln kann (z. B. in
Sachsen und Sachsen-Anhalt). Darüber hinaus unterliegen
in Bayern und Hessen alle Verfassungsänderungen dem ob-
ligatorischen Referendum, während dies in Berlin nur für
Änderungen im Hinblick auf direktdemokratische Vor-
schriften gilt.
Auf Länderebene wurden von 1946 bis Ende 2012
insgesamt 278 direktdemokratische Verfahren (Anträge auf
Volksbegehren bzw. Volksinitiativen) eingeleitet. Von die-
sen gelangten 78 zum Volksbegehren und hiervon wieder-
um 19 zum Volksentscheid.
19
Hinzu kamen 49 unverbindli-
che Volkspetitionen, bei denen das jeweilige Landesparla-
ment angeregt wurde, sich mit demGegenstand der Petition
zu befassen.
Die Einführung von Bürgerbegehren und Bürger-
entscheid ist eine vergleichsweise junge Entwicklung auf der
Kommunalebene. Erstmals wurden sie 1956 in Baden-
Württemberg eingeführt, und erst nach 1990 wurden in al-
Daten: 48 europäische Länder in der Betrachtung, eigene Erhebung entsprechend den Daten des Zentrums für Demokratie (
)
Volksabstimmungen im
Zeitraum
1848 bis 1945
1945 bis 1969
1970 bis 1989
1990 bis 2010
1848 bis 2010
Zahl der betrachteten Länder
48
48
48
48
48
Summe über alle Länder
und Jahre
225
137
229
464
1055
Durchschnitt über alle
Länder pro Jahr
0,05
0,11
0,24
0,31
0,13
Tabelle 1: Entwicklung direktdemokratischer Abstimmungen in Europa
1...,45,46,47,48,49,50,51,52,53,54 56,57,58,59,60,61,62,63,64
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