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schiedener Ereignisse und Erfahrun–

gen eine Rolle. Derjenige, der aus ei–

nem Konzentrationslager befreit wur–

de, wird das Jahr 1945 anders beur–

teilen als ein Landwirt, der in Schlesi–

en oder Ostpreußen ein Anwesen be–

saß ,und mit seiner Familie von dort

vertrieben wurde. Ganz andere Erin–

nerungen hat dagegen wahrscheinlich

ein Bauer hier bei uns, der seinen Hof

nicht verlor und sich freute, daß der

braune Spuk endlich vorbei war. Sehr

unterschiedlich konnte auch das Schick–

sal von Soldaten sein, die in Gefan–

genschaft gerieten. Wer nach Sibirien

kam, wird das Kriegsende wohl kaum

als Befreiung empfunden haben. Mit

dieser Charakterisierung tat sich der–

jenige, der von den Amerikanern in–

haftiert wurde, schon weniger schwer.

de vor allem aus dem Blickwinkel der

Schlagworte 'Befreiung, Niederlage,

Katastrophe' betrachtet. Um welche

zentralen Themen dreht sich Ihrer An·

sieht nach 1995 die Diskussion?

Meines Erachtens tauchen diese drei

Begriffe auch heuer immer wieder auf.

Andererseits ist die Weit von 1995

Die Bewertung

des 8. Mai hängt

sehr von den

persönlichen

Erfahrungen ab.

nte Zäsur

Konzentriert sich angesichts der vielen

denkwürdigen Ereignisse des Jahres

1945 die Aufmerksamkeit nicht zu

sehr auf den 8. Mai?

Ich finde, das Kriegsende war ein so

wichtiger Einschn itt, daß die große

Resonanz gerechtfertigtist. Aber auch

die weiteren Ereignisse werden mei–

ner Meinung nach nicht vergessen.

Ich denke da z.B. an die Befreiung

von Auschwitz oder die Zerstörung

Dresdens, an die in allen Medien erin–

nert wurde. Und Sie werden sehen,

im kommenden Monat wird auch der

50. Jahrestag der Potsdamer Konfe–

renz Anlaß für diverse Berichte und

Veranstaltungen sein .

Vor 10 Jahren hat man das Kriegsen-

Verglichen mit

1945 sind die

Probleme nach der

lViederverenngung

eher gering.

nicht mehr die von 1985. Das Ende

des Kalten Krieges, die Wiederverei–

nigung Deutschlands und der Zerfall

der kommunistischen Diktaturen be–

stimmen unsere Interpretation des 8.

Mai ganz wesentlich mit. Die Men–

schen haben jetzt das Gefühl, das

Jahrhundert sei politisch abgeschlos–

sen . Dabei vergißt man allzuleicht,

daß keineswegs alle Probleme gelöst

sind . Das zeigen allein schon die

Schwierigkeiten, die sich beispielswei–

se für Rußland beim Aufbau eines de-

mokratischen Staatswesens und einer

freien Wirtschaftsordnung ergeben .

Gerade in diesem land, wo auf die

Zarenherrschaft die kommunistischen

Machthaber folgten und damit jede

demokratische Tradition fehlt, kann

die Umstellung nicht von heute auf

morgen gelingen.

Hatten denn die neuen Länder da

nicht eine wesentlich bessere Start–

position?

Nur zum Teil! Denn auch hier verfüg–

ten die meisten Menschen 1990 über

keinerlei Erfahrung mit einem Rechts–

staat. Statt dessen hatten sie 40 Jahre

DDR, fast fünf Jahre sowjetische Besat–

zungsherrschaft und 12 Jahre NS-Re–

gime, zusammen 57 Jahre Diktatur,

hinter sich. Sie mußten also erst ler–

nen, wie Demokratie und Marktwirt–

schaft funktion ieren. Die Voraussetzun–

gen dafür waren jedoch wesentlich

günstiger als in Rußland, denn schließ. .'

lieh gab es die alten Bundesländer,

an deren politischen Strukturen man

sich orientieren und von deren Wirt–

schaftskraft man profitieren konnte.

Und dennoch läßt sich auch hier die

Hypothek von vier Jahrzehnten soziali–

stischer Herrschaft nicht mit einem

Schlag beseitigen .

Wenn Sie den Neuanfang nach 1989

mit dem nach 1945 vergleichen, zu

welchem Ergebnis kommen Sie?

Daß die Aufgabe, die sich der deut–

schen Bevölkerung nach dem Kriegs–

ende stellte, viel schwerer zu bewälti–

gen war. Sie müssen sich ja nur ein–

mal die Situation in Deutschland am

8. Mai 1945 vergegenwärtigen : zer–

bombte Städte, die industrielle Pro-

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