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Über die gesellschaftliche Bedeutung des Amateurfußballs

Einsichten und Perspektiven 1 | 17

Es scheint jedoch ziemlich gewiss, dass der Fußball noch

viele weitere Jahre die dominante und auch meist prakti-

zierte Sportart in Deutschland bleiben wird. Ausschlagge-

bend hierfür sind aus Sicht des Autors drei Faktoren, die

mitunter auch für die weltweite Popularität dieses Sports

verantwortlich sind bzw. bis dato waren. Da sind zum

einen die sehr niedrigen Zugangsbarrieren beim Fußball:

Ausgerüstet mit einem Ball (oder einem ballähnlichen

Gerät) kann jeder das Spiel nahezu überall und bei jedem

Wetter ausüben. Eine kostspielige Ausstattung, wie zum

Beispiel beim Golf oder Tennis, ist nicht vonnöten.

21

Die-

ser Faktor ist mitverantwortlich dafür, dass der Fußball

sich bis in die entlegensten und ärmsten Gegenden dieser

Erde ausgebreitet hat.

22

Berichte über Profifußballer, die es

aus den Armenvierteln dieser Welt auf die große Fußball-

bühne geschafft haben, sind daher keine Seltenheit. Aktu-

ell steht beispielsweise der Chilene Arturo Vidal vom FC

Bayern München exemplarisch für eine solche Karriere.

Aufgrund seiner Einfachheit ist der Fußball also zweitens

transkulturell beliebt. In einem Einwanderungsland wie

Deutschland stellt er für Neuankömmlinge eine Anknüp-

fungschance an die Mehrheitsgesellschaft und außerdem

eine Möglichkeit dar, soziale Anerkennung zu erfahren –

Anerkennung, die vielleicht in anderen Lebenszusammen-

hängen verwehrt bleibt. Die deutsche Politik weiß um die

Bedeutung des Fußballs in dieser Hinsicht und fördert

ihn deshalb auch im Rahmen zahlreicher Projekte.

23

Der

dritte Faktor, der die Popularität des Fußballs entscheidend

mitbedingt, liegt im Wesen des Spiels selbst: Es erschöpft

21 In einem Buchbeitrag bringt Tabery die „Einfachheit“ des Fußballspiels gut

auf den Punkt: „Ein Spiel lässt sich mit geringstem Aufwand auf die Beine

stellen. Man braucht ein paar Leute, eine halbwegs freie, halbwegs ebene

Spielfläche, nicht einmal unbedingt einen Ball, zur Not tut es auch eine

Büchse oder ein anderer Gegenstand, der den Ball vertritt. Ein oder zwei

Tore sind schnell markiert oder definiert, die Regeln sind kinderleicht zu ver-

stehen – schon kann es losgehen.“, vgl. Timo Tabery: Apotheose: Fußball als

Lebens-Schau-Spiel, in: Gesellschaftsspiel Fußball, hg. v. Christian Brandt/

Fabian Hertel/Christian Stassek, Wiesbaden 2012, S. 39–66, hier S. 41.

22 In einer ethnografischen Fußball-Untersuchung in Parakou im afrikani-

schen Benin heißt es: „Auf öffentlichen Plätzen, Hinterhöfen, Marktplät-

zen, Lagerplätzen oder einfach nur auf der Straße – gespielt wird dort,

wo sich Kinder, Jugendliche oder Junggebliebene treffen und einem Ball

hinterher jagen können. Dies ist auch der Grund, warum Fußball die wohl

uneingeschränkte Nummer eins der Freizeitaktivitäten unter Kindern und

jungen Männern auf dem afrikanischen Kontinent ist. Selbst wenn die

Rahmenbedingungen auf den ersten Blick eher schlecht sind […], findet

gerade unter diesen Bedingungen durch viel Kreativität und Begeisterung

immer wieder aufs Neue eine lokale Adaption des globalen Spiels statt.“,

vgl. Lutz Scharf: Aus der Tiefe des urbanen Raumes, in: Gesellschaftsspiel

Fußball, hg. v. Christian Brandt/Fabian Hertel/Christian Stassek, Wiesba-

den 2012, S. 177–194, hier S. 181.

23

Vgl. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/ 2014/13_sportbericht.pdf?__blob =publicationFile [Stand: 11.11.2016].

sich – das gilt aus der Perspektive der Fans wie der aktiv

Praktizierenden gleichermaßen – schlichtweg nicht. Denn

im Fußball sind „immer wieder […] neue Figurationen

und unerwartete Variationen“

24

möglich. Den spezifischen

Unterhaltungswert und Reiz des Spiels macht zudem aus,

dass das Spielgerät mit dem Fuß kontrolliert werden muss,

was das Spielgeschehen insgesamt weniger planbar macht.

Dazu der Sportphilosoph Gunter Gebauer: „Das Scheitern

ist für den Fußball als Mannschaftssport konstitutiv, ganz

anders als im Handball oder Basketball, wo ein gelunge-

ner Spielzug eigentlich immer oder zumindest sehr häu-

fig zum Erfolgserlebnis führt. Im Fußball dagegen sind in

der gesamten Partie nur ein, zwei, maximal drei Spielzüge

wirklich von Erfolg gekrönt. Das liegt an der Differenz

von Hand und Fuß. Die Kontrolle eines Balles ist mit

der Hand ungleich höher. Im Fußball nun muss man das

Tor mit dem Fuß oder Kopf erzielen, darf es aber mit der

Hand verhindern. Eine geniale Asymmetrie, die das Spiel

unglaublich spannend hält.“

25

Wenn der Azubi den promovierten Manager „steil

schickt“: Fußball und Gesellschaft

Als ich an einem Herbsttag 2016 als Spieler der Zweiten

Mannschaft des FC Dreistern München auf dem Fußball-

platz stand, musste ich wieder einmal zu meinem Bedau-

ern feststellen, dass ich mittlerweile zur Gruppe der „Rou-

tiniers“ zu zählen bin: Neben mir hatte nur einer meiner

Mitspieler das 30. Lebensjahr bereits überschritten, fast

alle anderen befanden sich in ihren frühen und mittleren

Zwanzigern. Doch nicht nur hinsichtlich des Alters erwies

sich meine Mannschaft an diesem Tag als äußerst hetero-

gen: Auch in Bezug auf ihren ökonomischen, kulturellen

und sozialen Hintergrund

26

sind dort ganz unterschied-

liche Spieler auszumachen. Schon die im Rahmen mei-

24 Timo Tabery: Apotheose: Fußball als Lebens-Schau-Spiel, in: Gesellschafts-

spiel Fußball, hg. v. Christian Brandt/Fabian Hertel/Christian Stassek, Wies-

baden 2012, S. 39–66, hier S. 45.

25

http://philomag.de/was-macht-fussball-schoen/

[Stand: 09.12.2016].

26 Dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu folgend ist es die Ausstat-

tung mit ökonomischem Kapital (z.B. finanzielle Mittel), kulturellem Ka-

pital (z.B. Bildung) und sozialem Kapital (z.B. über ein soziales Netzwerk

aktivierbare Ressourcen), die jeweils darüber entscheidet, welchen Platz

eine Person in einer Gesellschaft einnimmt. So ist beispielsweise gemein-

hin ein aus wohlhabendem Elternhaus stammender, junger Akademiker,

der qua Geburt über ein wertvolles soziales Netzwerk verfügt, gesell-

schaftlich einflussreicher als ein in ärmlichen Verhältnissen aufgewachse-

ner Kfz-Mechaniker, der sozialisationsbedingt außerhalb der Familie nur

wenige Kontakte pflegt. Die beiden beschriebenen Gesellschaftsmitglieder

interagieren – außerhalb rein geschäftlicher Beziehungen – für gewöhn-

lich kaum miteinander, vgl. Pierre Bourdieu: Die verborgenen Mechanis-

men der Macht, Hamburg 1992, S. 49–75.